1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Hauptstadt Berlin
 

Berlin: Parlaments- und Regierungssitz
Als sich nach der Maueröffnung die Wiedervereinigung abzeichnete, begann sehr bald eine kontroverse Diskussion über die Hauptstadtfrage. In den Jahren zuvor war dieses Thema in den Hintergrund getreten, insbesondere nachdem 1961 der Mauerbau die Einheit in weite Ferne gerückt zu haben schien.
Nach den beiden Staatsgründungen 1949 hatte dieses Thema die Politik hingegen beschäftigt. Das hing damit zusammen, daß sich sowohl die Bundesrepublik Deutschland als anfänglich auch die DDR als unvollständige „Kernstaaten" betrachteten, die für einen Beitritt der anderen Teile unter bestimmten Voraussetzungen offen waren.
• Als „Berlin" in der Gründungsverfassung des ostdeutschen Staates (7. Oktober 1949) als „Hauptstadt der Republik" bestimmt wurde (Art. 2), dachte man noch an Gesamtdeutschland. Die Verfassung drückte den kommunistischen Anspruch aus, die eigene Ordnung auf die westlichen Gebiete ausdehnen zu wollen. Insofern erinnerte die ursprüngliche „Hauptstadt Berlin"-Formel der SED an deren einstmalige gesamtdeutschen Visionen. Die umfangreiche Bautätigkeit richtete sich dann aber an der teilstaatsbezogenen Aufgabe aus. Von den 30 Ministerien der DDR siedelten sich 29 in Ost-Berlin an, davon neun im „Haus der Ministerien", dem heutigen Sitz der Treuhandanstalt. Der eigentliche politische Machtkern lag im weiteren Umfeld des ehemaligen Stadtschlosses.
• Die Bundesrepublik sah sich beim Umgang mit ihrem Teil Berlins zu vielerlei Rücksichtnahmen veranlaßt, waren die Westsektoren doch räumlich entfernt und anfällig für Druck, die Bindungen ohne die alliierten Rechte und Verantwortlichkeiten nicht möglich. So hatte der Parlamentarische Rat am 10. Mai 1949 beschlossen, Parlament und Regierung in der Stadt Bonn unterzubringen. Dies bestätigte der Bundestag am 3. November 1949, betonte aber: „Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Deutschlands, Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind."
Diese Gelegenheit bot sich erst 1990. Bis dahin konzentrierte sich der Bund darauf, West-Berlin zu unterstützen und dort Behörden, jedoch keine Ministerien, anzusiedeln. Darüber hinaus setzten schon früh Überlegungen ein, wie gezeigt werden könne, daß die Entscheidung für Bonn kein Abfinden mit der Teilung bedeutete. Daher begann die Bundespräsenz ab 1954 demonstrative Formen anzunehmen. Am 17. Juli trat die Bun desversammlung erstmals in Berlin zusammen (ferner 1959, 1964 und 1969). Die erste Arbeitstagung des Bundestages in Berlin fand vom 17. bis zum 22. Oktober 1955 statt. Am 16. März 1956 folgte eine Plenarsitzung des Bundesrates, die erste Sitzung des Bundeskabinetts am 11. Oktober 1956. Mit der verstärkten politischen Präsenz ging ein vorläufiger Baustopp in Bonn einher.
Das Hauptstadthema spielte die größte Rolle in der Bundestags-Wahlperiode von 1953 bis 1957. Es kam zu Diskussionen, ob die gesamte Bundesregierung oder Teile nach Berlin wechseln sollten und wie die geteilte Stadt für ihre Aufgabe auszugestalten sei. Bereits am 28. November 1956 hatte die Bundesregierung in Form einer Entschließung ihre Be- denken zusammengefaßt: „Im gegenwärtigen Zeitpunkt kann sie die Verlegung der Regierungstätigkeit nach Berlin nicht verantworten, da diese Stadt im Interesse ihrer eigenen Sicherheit unter Vier-Mächte-Status steht. Die Bundesregierung kann ihre Arbeit nur in einer Stadt ausüben, in der ohne Einschränkung ihre Souveränität gewährleistet ist." Gleichwohl leiteten die Debatten eine weiter verstärkte Ansiedlung von Bundesorganen in Berlin ein. 1957 bis 1961 wurden am Reichstagsgebäude erste Baumaßnahmen durchgeführt (Wiederherstellung bis 1972).
In den sechziger Jahren wandten sich UdSSR und DDR gegen die Bundespräsenz in Berlin. Infolge ihrer scharfen Reaktion auf die Berliner Plenarsitzung des Bundestages am 7. April 1965 fand sich das Plenum des Parlaments nicht mehr in der Stadt zusammen. Die Bundesversammlung tagte dort zum letzten Mal am 5. März 1969. Unter Bezugnahme auf das Viermächte-Abkommen von 1971 teilten die westlichen Botschafter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) mit: „In den Westsektoren Berlins werden keine Sitzungen der Bundesversammlung und weiterhin keine Plenarsitzungen des Bundesrates und Bundestages stattfinden." Damit wurde die Bundespräsenz vertraglich auf ihre Rolle beschränkt, die Lebensfähigkeit West-Berlins zu fördern.
Die Öffentlichkeit gewöhnte sich an Bonn, das seit 1970 den Titel „Bundeshauptstadt" trug, ebenso an Ost-Berlin als Zentrum der DDR. Andererseits gab es wie früher Bekundungen zu Berlin für den Fall der Wiedervereinigung. Der zeitliche Abstand war aber recht groß. Nach dem 9. November 1989 stellte sich nun die Frage, wo. das vereinte Deutschland künftig seinen politischen Schwerpunkt haben solle. Das Grundgesetz gab darauf keine Antwort. Eine ebenso intensiv wie leidenschaftlich geführte Debatte setzte ein, wurde das Thema doch als grundsätzlich für das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland nach der Vereinigung empfunden. Bei der Frage „Berlin oder Bonn" ging es deshalb nicht bloß um technische oder finanzielle Gesichtspunkte, sondern auch um historische und außenpolitische. Die Kontroverse schlug auf die Verhandlungen über den Einigungsvertrag durch, für den man schließlich einen Kompromiß fand. Danach ist Berlin die „Hauptstadt Deutschlands". Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung sollte hingegen erst „nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden" (Art. 2 Abs. 1) werden.

Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de


 
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