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Widerstand
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Buchauszug
Nun sind wir schon im alten Rußland, in Weißrußland also. Bedauerlich ist, daß meine Kenntnisse in der russischen Sprache nicht über das primitive Lesen hinauskommen, manchmal wäre es schon sehr praktisch. Für Dich könnte es wahrscheinlich noch viel praktischer sein. Neugierig bin ich schon auf Rußland. Bis zum letzten Tag wollte ich nicht glauben, daß wir dorthin auf diese Weise kämen. In der Frühe des vergangenen Sonntag wurde es dann doch Tatsache. Der Marsch in den Osten geht sehr rasch vorwärts, fast kann man es sich gar nicht richtig vorstellen. Du wirst ja selbst neugierig sein, wie es kommen wird.
Die Weite des östlichen Landes unterscheidet sich seit Polen und schon mit Polen fast überhaupt nicht. In dieser Gegend wohnen nur wenige Leute, bisher kamen wir selbst fast nur an kleinen Orten auf den schlechten Straßen vorbei. Von Rußland merkt man nichts,
vielleicht haben wir uns auch ganz andere Vorstellungen davon gemacht.
Der Sommer ist drückend heiß. Kaum kann ein Gewitter ein wenig Frische und Kühlung bringen. Auch die Nächte bleiben warm mit zum Glück etwas frischen Winden.
Was werden die nächsten Wochen für mich hier bringen? Sicher eine große Menge Staub und viel Sonne und Hitze. Froh bin ich, wenn wir aus den Sumpfgebieten heraus sind. Bisher gab es hier bei meinem Verein wenig durch den Krieg bedingte Arbeit. Einzigste Gefahr war und ist der Abwurf feindlicher Bomben, wie er ja auch vielleicht noch gelegentlich zu erwarten ist. Aber davon werdet auch Ihr daheim etwas zu spüren haben.
Nimm diesen Schrieb als Zeichen meines Gedenkens. Grüße alle in Bonn von mir. Ich wünsche Dir alles Gute. nurmi


An Günther Schmich, [Rußland], 24.7.1941

Lieber Günther,
aus diesem unheimlich großen, bisher unvorstellbaren Land schreibe ich Dir nach langen Wochen einen Gruß. Durch die Postsperre und die unregelmäßige Postzustellung habe ich nur ganz selten in den vergangenen Wochen Post empfangen und bin so ohne Nachricht. Ich weiß daher auch nicht, ob Du noch in Speyer sitzest oder vielleicht irgendwo untergekommen bist. Aber das wird sich ja zeigen.
Bis zur letzten Stunde wollte ich noch nicht an diesen Krieg glauben, obwohl hier im Osten doch alle Zeichen es sichtbar machten, erst beim ersten Schuß in der Frühe des 22. VI. lagen dann die Dinge klar. Es begann ein Krieg, für den ich keine Vergleiche habe, dazu eben in diesem Land, das uns doch immer ein Rätsel geblieben. Und nun sitze ich schon einige Hundert Kilometer weiter in Rußland, manche Flüsse sind überquert und vieles hat sich zugetragen. Sonne, Staub und Stechmücken wurden oft zur Qual, denn ihre Ausmaße sind schon nichts mehr für unsere Bedürfnisse.
Mancher von uns wird ebenfalls an dieser Front stehen, doch es ist schade, daß man von niemand etwas hört, weil eben die Post uns nicht erreicht. So leicht wird man auch keinem begegnen, denn die Größenordnung läßt so etwas schon nicht mehr zu. Die Tage verlaufen sehr rasch, obwohl Tag und Nacht sich vermischen und zu mancher Zeit nur wenig an Schlaf zu denken ist. Man lebt das Leben aller anderen Menschen und spürt den gleichen Pulsschlag, weil man immer mit ihnen zusammen ist. So wird es wohl noch einige Zeit weitergehen, denn ein Ende ist sicher noch nicht abzusehen, obwohl dieses ganze augenblickliche Geschehen ohne jeden Vergleich mit anderen Dingen abläuft. Arbeit für mich gibt es zuweilen, denn auch die andere Armee versteht zu kämpfen.
Ganz selten lese ich etwas, und dann sind es Hölderlin-Gedichte oder kurze Schriebe von Guardini. Dann steht unversehens wieder ein anderes Leben vor mir, das ich schon lange vermissen muß. Wann wird es wieder einmal Tatsache sein?
Ich grüße Dich herzlich und wünsche, daß Dich mein Gruß noch am Guidostiftsplatz antrifft. Dein nurmi

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