1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Journalseite November 2019
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Buchauszug
Dagegen behauptete die Kreispropagandaleitung der NSDAP in Eichstätt, bei der »Judenaktion« sei »das Volk restlos in der Hand der Partei« gewesen, einmütig habe die Bevölkerung den »Angriff« gutgeheißen. In den Monatsberichten der Gendarmeriestationen im oberfränkischen Landkreis Ebermannstadt war die Stimmung in der Bevölkerung jedoch als zwiespältig beschrieben worden. Die Zerstörung jüdischer Geschäfte und der Synagogen sei von einem Teil der Bevölkerung begrüßt worden, und zwar »von alten Kämpfern und den jüngeren Leuten, die schon aus der Hitlerjugend hervorgegangen sind. Dagegen wurde von der Mehrzahl der Bevölkerung hierfür kein Verständnis aufgebracht, daß man ohne weiteres fremdes Eigentum zerstören darf.« Eine andere Gendarmeriestation meldete: »Bezüglich der jüngst erfolgten Aktion gegen die Juden ist die Bevölkerung zweierlei Meinung. Der eine Teil der Bevölkerung vertritt den Standpunkt, daß bewußte Aktionen mit den damit zusammenhängenden Verhaftungen und Zerstörungen noch viel zu mild ausgefallen seien. Der andere Bevölkerungsteil aber, und das ist der weitaus größte, ist der Anschauung, daß diese Zerstörungen nicht am Platze gewesen seien. In diesem Zusammenhang erscheint noch erwähnenswert, daß in der Bevölkerung schon wiederholt die Frage aufgeworfen wurde, ob die an der Aktion beteiligten Personen auch der Bestrafung zugeführt werden.« In den Bericht des Bezirksamts Ebermannstadt sind viele derartige Beobachtungen eingeflossen. Der Verfasser beschrieb den in seinem Bezirk angerichteten Sachschaden und überlieferte spezielle Formen der Bereicherung, die in der Form vonstatten gingen, »daß Schuldner ihre jüdischen Gläubiger unter körperlicher Einwirkung zwangen, vorgeschriebene Quittungen über die angebliche Bezahlung der Schulden zu unterzeichnen. Ja, sogar Grundstücke mit Gebäuden wurden auf diese Art und Weise unentgeltlich übereignet.«
Dieser Berichterstatter scheute sich auch nicht, seiner vorgesetzten Stelle - dem Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken -mitzuteilen, daß das Rechtsbewußtsein der Bürger durch den Pogrom ins Wanken geraten sei; und er schrieb in den Bericht, den er mit dem Satz, »Die wichtigsten Gesprächsstoffe waren und sind auch heute noch die Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden und die Schweinefleischknappheit«, geschäftsmäßig eröffnet hatte: »Vom Standpunkt der Polizeibeamten aus habe ich dazu noch folgendes beizufügen: Vergeltungsmaßnahmen gegen einzelne Volksgenossen, die sich an dem Volke versündigen, darf das Volk nur durch die hierzu berufenen Organe des Staates ausführen lassen. Das sind die Strafverfolgungs- und Strafgerichtsbehörden. Der einzelne Volksgenosse ist weder für sich allein noch durch Zusammengehen mit anderen Volksgenossen dazu befugt. Daher die strengen Bestimmungen über die Bestrafung des Verbrechens des erschwerten Landfriedensbruchs. Die Autorität der Polizei muß notgedrungen einen schweren Schlag erleiden, wenn sie eine solche Straftat
unbeanstandet geschehen läßt. Ein solches Verhalten wird dann entweder als Parteilichkeit beurteilt oder als Unfähigkeit, die Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit gewährleisten zu können. Justitia fundamentum regnorum!«
Auf der Regierungspräsidenten-Ebene war die Berichterstattung mindestens in Stil und Tonfall den Erwartungen der höheren Instanzen angepaßt. So hieß es im Bericht der Verwaltungsspitze von Ober- und Mittelfranken: »Die freche Herausforderung des Weltjudentums durch den feigen Mord in Paris war für zahlreiche Lehrer des Regierungsbezirks Veranlassung, aufgrund ihrer nationalsozialistischen Einstellung zur Judenfrage den Religionsunterricht niederzulegen. Im Verlauf der Protestaktion gegen die Juden wurden in Wunsiedel auch zwei evangelische Geistliche und vier katholische Pfarrer, die als >Judenknechte< gelten, durch die empörte Volksmenge auf die Polizeiwache verbracht und dort vorübergehend festgehalten. In den Pfarrhäusern wurde eine Anzahl Fensterscheiben zertrümmert.«
Auch der Regierungspräsident von Schwaben befleißigte sich der Sprache des Völkischen Beobachters: »Helle Empörung weckte allenthalben der feige Meuchelmord an dem Gesandtschaftsrat 1. Klasse vom Rath. Deutlich erkennbar für alle unterstrich dieser Mord die weltgeschichtliche Bedeutung der Judenfrage und die Notwendigkeit ihrer kompromißlosen Lösung, die in den Reden führender Männer, durch die Aufklärungstätigkeit der Partei und andere Mittel der Führung, wie Presse und Rundfunk, immer wieder betont worden war. Nach solchem Anschauungsunterricht wurden die Gegenwirkungen des Volkes in Gestalt von Demonstrationen und Aktionen gegen Juden und jüdischen Besitz, insbesondere Synagogen, und jene der Reichsregierung durch Verordnungen, namentlich über die Sühneleistung der deutschen und staatenlosen Juden und zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, allgemein verstanden und - hauptsächlich die wirtschaftspolitischen Maßnahmen - von immer mehr Volksgenossen auch grundsätzlich gebilligt, zumal ja den Juden ihr kulturelles Eigenleben immer noch unverwehrt bleibt.«
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