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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Journalseite Juni
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Die 68erinnen - Porträt einer rebellischen Frauengeneration
Die Bewegung von 1968 ist immer wieder ausführlich diskutiert worden. Der Anteil der Frauen wird dabei meistens verschwiegen. Als Hauptdarsteller werden Männer wahrgenommen wie Rudi Dutschke, Benno Ohnesorg und Joschka Fischer. Doch die "68erinnen" waren an allen Debatten und Aktionen beteiligt, haben sie zum Teil sogar selbst angestoßen. Sie rebellierten gegen die traditionelle Rolle der Frauen - 1968 war auch die Geburtsstunde der neuen Frauenbewegung.
Autor: Ute Kätzel
ISBN: 3 87134 447 8

"Die 68erinnen - Porträt einer rebellischen Frauengeneration"
Ute Kätzel porträtiert vierzehn Frauen, die damals im Zentrum des Geschehens standen, unter ihnen Sigrid Fronius, Helke Sander, Sarah Haffner und Gretchen Dutschke. Wie erlebten sie die Revolte? Wie leben sie heute? Eine neue, spannende Perspektive auf `68 und auf eine Frauengeneration, die das Land verändert hat.


Buchauszug
Annette Schwarzenau

Ich wurde 1943 in Bünde geboren. Mein Vater war Stadtverordneter und frühstücksmäßiger Bürgermeister in Schwelm in Westfalen und betrieb ein Uhren- und Optikergeschäft, und meine Mutter war die Managerin des Geschäfts.
Ich ging auf das Gymnasium, wie alle meine drei Geschwister, bin aber aus Protest von der Schule abgegangen, weil ich Schillers Auffassung der heiligen Johanna so nicht akzeptieren konnte. Ich hatte meine eigene Vorstellung, die mit der von Schiller nichts zu tun hatte, und kriegte eine Sechs in dieser Nacherzählung. In dem Moment war für mich die Schule erledigt. Danach habe ich bei meinem Vater eine Optikerlehre gemacht. Ich habe dann bald meinen Mann geheiratet und bin mit ihm sogar ein bisschen verwandt. Wir kannten uns schon als Kinder.

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Mein Mann war genau wie ich in der Familie der Doofe. weil auch er kein erfolgreicher Schüler war. Geheiratet habe ich ihn aus Solidarität, weil wir beide in der gleichen beschissenen Lage waren. Gegen diese ganzen geistigen Größen in unserer Familie bildeten wir eine Art Bollwerk. Er wurde auch Optiker und Uhrmacher dazu, und ich habe in Tübingen Krankenpflege gelernt. Ich wurde dann sehr schnell schwanger, was gar nicht geplant war, und 1966 wurde mein Sohn geboren.
Zu der Zeit lebten wir in Tübingen, und dort gab es den SDS, in dem ich als Krankenschwester, ebenso wie mein Mann als Optiker, eigentlich gar nichts zu suchen hatte. Aber es interessierte uns. Der Krieg in Vietnam und diese Anti-Springer-Kampagne, in der es hauptsächlich darum ging, dass Springer die Menschen manipulierte, waren die Gründe. Ich fand das spannend, und es war mal etwas anderes als nur diese Krankenhausgeschichten. In unserem Freundeskreis waren eigentlich nur Studenten aus dem Tübinger SDS, und ich werde nie vergessen, wie der olle Ernst Bloch da war mit seinem Hörrohr und seiner Pfeife.
Trotzdem fand ich diese Zeit in Tübingen öde, vor allem weil ich die tollen Geschichten von meinen Geschwistern aus Berlin hörte. Um mehr davon mitzukriegen, habe ich den "Extra-Dienst" abonniert, und da hieß es, man solle Fritz Teufel in den Knast schreiben. Also habe ich ihm so dies und das geschrieben und gefragt, ob er mir den Text der "Internationale" schicken kann, und daraufhin hat er mir einen ganz wunderbaren Brief geschickt. Das war überhaupt so meine Herangehensweise, nicht diese theoretischen Dinger, sondern etwas praktisches unternehmen.
Zur Zeit der Anti-Springer-Kampagne hat mir mein Mann, als Optiker und Uhrmacher, Anti-Springer-Plaketten zu Ohrringen umgearbeitet. Solche Sachen fand ich richtig gut an ihm. Aber privat lief eben diese bürgerliche Geschichte mit Mann und Kind ab, und es war mein größtes Problem, mich auf das Muttersein zu konzentrieren.
Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt und hatte eigentlich geplant, eine spezielle Krankenpflegeausbildung in England zu machen, um als Krankenschwester in ganz Europa arbeiten zu können. Wenn ich arbeitete, war mein Sohn bei einer Tagesmutter untergebracht. Denn in Tübingen gab es keine Kindergärten. Doch irgendwie ging das alles trotzdem nicht, ein kleines Kind haben, arbeiten und auch noch politisch aktiv sein wollen, obwohl wir damals keine Hemmungen hatten, ihn alleine zu Hause zu lassen.
Meine Schwester Bärbel war mit Bahman Nirumand verheiratet, der das Buch über den Schah von Persien uns vor allem über die Machenschaften des persischen Geheimdienstes SAVAK geschrieben hat. Soweit ich mich erinnere, wurde er selbst vom Geheimdienst beschattet. Es war ihm total wichtig, in Deutschland Informationen über den Schah und sein Regime und auch über den schrecklichen Analphabetismus in Persien zu verbreiten.
Jedenfalls wurde dieses Buch in unserem Elternhaus redigiert, und ich erinnere mich, dass wir Korrektur lesen mussten, Kommas einfügen und solche Sachen. Es war eine sehr spannende Zeit. Wer von den Studenten hier wusste denn damals schon etwas über Persien! Das änderte sich schlagartig durch dieses Buch, und da Nirumand auch Rudi Dutschke und Co. kannte, bekam der Schah-Besuch in Berlin eine hohe Brisanz. Von Regierungsseite wurde der Besuch natürlich generalstabsmäßig vorbereitet. Ich kenne die Ereignisse des 2. Juni 1967 in Berlin hauptsächlich aus den Erzählungen meiner Eltern und meiner Geschwister, weil ich selbst nicht in Berlin war.
Dass ich mich mit der Zeit so stark engagiert habe, hatte in keinster Weise mit dem Verhalten meiner Eltern während des Faschismus zu tun. Es war vielmehr so, dass sie als gläubige Christen immer wahrhaftig sein wollten und keinerlei Schwiemeleien ertragen konnten. Als guter Christ sagte mein Vater immer: "Das schlimmste sind die Pharisäer, die fromm reden und nicht handeln." Die moralische Einstellung kam bei mir aus dem Christentum und der Erziehung meiner Eltern. Aber ich hatte auch einfach Lust darauf, etwas gegen Sauereien zu unternehmen, welcher Art auch immer.
Mein Vater vereiste im Grunde nicht gerne. Als dann der Schah-Besuch näher rückte, hat er mit einem Mal zu meiner Mutter gesagt, "eigentlich sollten wir doch nach Berlin fahren! Die Kinder müssen ja demonstrieren, und wir können auf die Enkelkinder aufpassen." Meine Mutter hat sich sehr gewundert, hat aber gesagt, "pack die alte Hose ein!" Sie waren auch im Audimax und haben zum ersten mal diese ganze Stimmung mitgekriegt, Vietcong-Fahnen und Klatschen, und meine Mutter fand das alles sehr beeindruckend.
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Dann kam der Morgen des 2. Juni, als vorm Rathaus Schöneberg der Schah empfangen wurde. Als mein Vater unruhig wurde, sagte meine Mutter: "Geh zum Rathaus Schöneberg. Du hältst es hier sowieso nicht aus. Aber zieh die alte Hose an!" Meine Geschwister waren woanders im Einsatz. Er stand da und um ihn herum lauter demonstrierende Studenten. An den Hamburger Reitern waren die "Jubelperser" mit ihren Dachlatten und schlugen auf die Demonstranten ein. Es ging hin und her, bis schließlich mein Vater, als aufrechter Demokrat und Christ, sagte: "Passen sie mal auf! Sie sind hier in Deutschland, und diese Studenten haben das Recht zu demonstrieren. Nu` packen sie mal ihre Latten weg." Da haben die "Jubelperser" voll auf meinen Vater draufgehauen.
Dieses Bild, wie ein grauhaariger Herr unter der Latte regelrecht zu Boden geht, ist immer in diesen Filmen über den 2. Juni zu sehen. Zum Glück ist ihm äußerlich nichts passiert, aber innerlich! Dieser Schlag auf den Kopf, dieses undemokratische Verhalten und das "unsere deutsche Polizei" nicht gegen diese "Jubelperser" vorgegangen ist, hat ihn zutiefst erschüttert. Als er wieder nach Hause kam, hat er sofort die goldene Ehrennadel der CDU zurückgeschickt.
Als ich damals in Tübingen vom Tod Benno Ohnesorgs erfuhr, war ich geschockt und entsetzt. Das hat mich mehr aufgeregt als Vietnam. Danach haben wir den Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz sehr verachtet, wegen der Art und Weise, wie er darauf reagierte. Das hat sich Jahre später aber völlig geändert, und Albertz wurde eines meiner Vorbilder.
Weihnachten 1967 hörte ich von meiner Schwester Bärbel, dass in der Berliner Gedächtniskirche eine Aktion mit Rudi Dutschke geplant war. Was sie dort vorhatten, fand ich hochgradig spannend, und gleichzeitig hörte ich, dass das ZDF zu Weihnachten den Tübinger Gottesdienst übertragen würde, während die ARD in Berlin zugange war. Also habe ich zu meinen Tübinger Genossen gesagt: "Leute, daraus müssen wir was machen!"
Alle fanden die Idee großartig. Dann ging ich zum Küster und sagte "ich habe Großfamilie, und wir möchten gerne oben auf der Empore in der ersten Reihe sitzen." Da meinte der: "Wenn die rechtzeitig da sind, kriegen sie sicher noch einen Platz." Also habe ich zu den Genossen gesagt: "Wir malen Transparente unter dem Motto: "Nur beten ist Mord". Die werden eingerollt und unter dem Wintermantel versteckt. Um halb vier gehen wir generalstabsmäßig oben an die beiden Brüstungen, und sobald die vorletzte Zeile der vierten Strophe kommt, von "Vom Himmel hoch", entrollen wir die Transparente. Denn da laufen die Fernsehkameras." Ich fand das unheimlich aufregend. In unserer kleinen Wohnung hingen die ganzen Wände voll mit Transparenten. Ich hatte damals eine Handnähmaschine und habe auch noch eine Vietcong-Fahne genäht. Denn die Genossen wussten ja nicht, wo wir wohnen. Also habe ich ihnen gesagt: "Da, wo am Heiligen Abend in der Köllestrasse eine Vietcong-Fahne aus dem Fenster hängt, müsst ihr hingehen".
Es kamen sogar einige ganz wichtige Genossen aus der Frankfurter SDS-Zentrale, die davon gehört hatten, aber im Grunde nicht recht glauben wollten, dass das gut geht. Der Vater des einen saß im Bundestag, und er war recht ängstlich. Also habe ich gesagt: "Wenn du Angst hast, gehst du vor der Kirche mit Philipp spazieren." Plötzlich wollten andere auch lieber draußen Flugblätter verteilen.
Wir haben unsere Aktion dann wie abgesprochen durchgezogen, und alles wäre wunderbar gewesen, wenn nicht ein paar von diesen bekloppten Christen, die sich gestört fühlten, auf uns losgegangen wären. Wir hatten die Transparente an Holzstäben festgemacht. Doch in diesem Gedränge fielen sie hinunter und den anderen, unten sitzenden Christen auf den Kopf.
Es ist den Leuten weiter gar nichts passiert, aber das Dumme war, dass das ZDF unsere Aktion bei der Übertragung einfach weggelassen hat. Von der Berliner Aktion in der Gedächtniskirche gibt es Fernsehaufnahmen, von unserer Aktion nicht. Als wir jedoch aus der Kirche herauskamen, hatten wir es mit furchtbar wütenden Menschen zu tun. Wir brachten Philipp ins Bett und fanden es insgesamt doch eine ziemlich gelungene Aktion.
Eine Woche später stand morgens um elf ein Bulle vor meiner Tür und meinte, er müsse jetzt mal reinkommen, denn er habe gehört, ich sei die Rädelsführerin dieser ganzen Aktion gewesen. Dann wurde ich sogar vorgeladen. Aber ich habe das Ding genossen, und zum Schluss wurde alles eingestellt. Wir habe sogar anschließend mit den Pfarrern diskutiert. Jedenfalls war das meine erste eigenständige politische Aktion, und die Anregung dazu kam durch diesen guten Berlin-Tübingen-Kontakt.
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Gretchen Dutschke-Klotz
Initiatorin der ersten Berliner Kommunegruppe

In Berlin nahm mich Rudi zur "Subversiven Aktion" mit. Das war die Gruppe, der er angehörte, als ich ihn kennen lernte. Ich habe aber nichts verstanden, weil ich noch nicht genug Deutsch konnte. Dann gab es den SDS, und natürlich bin ich mit ihm auch dort hingegangen. Der SDS bestand aus einer Gruppe von Intellektuellen, die wahnsinnig überhebliche Menschen waren. Es gab zwar einige, die nicht so waren, aber die Hauptrichtung war so. Sie sprachen eine Sprache, die, außer ganz wenigen, niemand verstehen konnte. Sie klang wie eine Geheimsprache.
Und es war eine Organisation von Männern. Frauen waren dabei, aber mit wenigen Ausnahmen hatten sie nichts zu sagen. Die Einstellung dieser Männer zu Frauen war, bis auf wenige Ausnahmen, sehr altmodisch und patriarchalisch bestimmt. Trotzdem hat der SDS eine große Rolle gespielt, um die 68er-Bewegung in Gang zu bringen.
Ich habe gleich ein paar Frauen kennen gelernt, die auch ziemlich sauer darüber waren, was dort vor sich ging. Der SDS war zwar auch unser Bezugspunkt, aber wir hatten keine Lust mehr hinzugehen. Wir waren sechs oder sieben Frauen, allesamt von Männern, die im SDS waren, und bildeten eine Frauengruppe. Gertrud Hemmer, die später in die K 2 ging, war dabei, Rosemarie und einige andere.
Meistens haben wir darüber geredet, wie sauer wir sind, und haben Bebels Buch "Die Frau und der Sozialismus" gelesen. Diese Frauengruppe lief aber nur einige Monate.
Sigrid Fronius war eine von ganz wenigen Frauen, die damals überhaupt öffentlich geredet haben und dabei nicht unmittelbar Lachen auslösten. Ich habe sie als einen sehr mutigen Menschen wahrgenommen, der gute Sachen gesagt hat. Da war noch eine andere Frau, Elke, die auch viel geredet und gute Sachen gesagt hat. Die Männer haben oft gelacht, wenn sie geredet hat. Doch sie war sehr mutig, denn sie ist immer wieder aufgestanden.
Die Probleme mit dem SDS fand ich irgendwann nur noch unerträglich und wollte überhaupt nicht mehr hingehen. Für mich war es nicht akzeptabel, welche Rolle die Frauen spielen sollten, eben Haushalt machen, kochen und vielleicht auch noch für die Männer tippen. Sie sollten zwar an Demonstrationen teilnehmen, nicht aber an politischen Diskussionen. Doch weil es für Rudi so wichtig war, habe ich überlegt, wie man mit diesen Menschen sinnvoll reden kann.
Meine Idee war, dass sich daran etwas würde, wenn man zusammenlebt. Dann könnte es so organisiert werden, dass Frauen und Männer an allem beteiligt sind. Die Frauen könnten mehr Politik, die Männer mehr Haushalt machen. Rudi hat diesen Gedanken vollständig akzeptiert und einige andere von den Männern theoretisch auch. So kam ich darauf, eine Kommune zu gründen. Als ich Rudi davon erzählte, fand er die Idee gut und meinte, wir sollten mit anderen Leute darüber reden. Er würde einfach welche einladen. Doch ich habe gesagt, dass ich die Leute lieber selbst einladen würde, weil ich nicht alle dabei habe wollte. Also habe ich eine Liste gemacht, und wir haben uns getroffen.
Als ich nach Deutschland kam, gab es in den USA bereits Versuche mit Kommunen, etwa in Kalifornien, über die ich gelesen hatte. Wir dachten es wäre ein guter Einstieg, darüber zu reden. Zum ersten Treffen kamen vielleicht fünfzehn Leute. Ich habe über die verschiedenen historischen Kommuneversuche und über aktuelle Beispiele aus Amerika berichtet und anschließend haben wir darüber diskutiert. Andere hörten davon und wollte auch dabei sein. Nach kurzer Zeit waren wir in dieser Gruppe schon zwanzig bis dreißig und in der Hauptzeit sogar fünfzig Personen. Wir trafen uns wenigstens einmal in der Woche.
Zu der Zeit war ich mit Helga Reidemeister befreundet. Ihr Mann war Architekt. Beide waren zu dieser Kommunegruppe dazugestoßen. So kamen wir darauf, ein Haus zu bauen, das so beschaffen ist, dass man als Kommune darin leben kann, weil es Platz für gemeinschaftliches Leben und Wirtschaften bietet. Wir haben auch überlegt, wie man das Geld dafür zusammenkriegen könnte.

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Das allererste Treffen der Kommune fand im Frühjahr 1966 statt, zu einer Zeit, als Kunzelmann noch in München wohnte. Im Dezember 1965 hatte ich ihn von einer sehr unangenehmen Seite kennen gelernt, als wir an den Kochelsee fuhren, um gemeinsam mit einigen Leuten aus Berlin und München Weihnachtsferien zu machen. Rudi kannte ihn aus der "Subversiven Aktion", und ich hatte ihn dort auch schon getroffen. Dieses Treffen hatte noch nichts mit unserer späteren Kommunegruppe zu tun. Kunzelmann hatte zu der Zeit zwei Frauen und beauftragte sie, Rudi zu verführen, weil er dachte, er könnte uns dadurch auseinander bringen. Rudi war aber nicht interessiert, und deshalb funktionierte sein Plan nicht. Aber mir gegenüber war das natürlich eine ganz böse Art.
Inzwischen hatte Kunzelmann von unserer Kommunegruppe gehört und ein zweites Treffen in Kochel organisiert, wahrscheinlich mit der Absicht, das ganze mehr oder weniger in die Hand zu nehmen. In seinem Buch erwähnt Kunzelmann nur dieses zweite Treffen, das im Juni 1966 stattgefunden hat, die Zeit davor jedoch mit keinem Wort. Ich bin absichtlich nicht zu diesem zweiten Treffen mitgefahren, weil ich davon überzeugt war, dass es für uns schief gehen würde.
Ich wollte Kunzelmann auf keinen Fall in unserer Gruppe dabeihaben, denn ich wußte, dass er extrem patriarchalisch und autoritär war. Er hat alle Leute überrumpelt, und man hatte keine Chance gegen ihn. "Du musst ihn davon abbringen", habe ich Rudi gebeten. Doch er meinte, es sei sein freier Wille, wenn er nach Berlin kommen wolle. Auch seien so viele Leute in der Gruppe, dass ein einzelner nie soviel Einfluss gewinnen könne.
Kunzelmann ist also dazugestoßen, und ich würde sagen, dass sein Kommunekonzept in erster Linie aus Psychoterror bestand. Denn er wollte, dass die Menschen sich gegenseitig allen psychischen Schutz niederreißen. Durch fundamentale Kritik sollten sie alle ihre "bürgerlichen Denkweisen" verlieren. Jedes Mal, wenn jemand etwas tat, was irgendwie "bürgerlich" erschien, sollte er total kritisiert werden. Außerdem sollten alle ihre festen Beziehungen aufgeben und miteinander schlafen.
In Amerika hatte ich mir intensive Gedanken darüber gemacht, wie ich als Frau in dieser Gesellschaft leben konnte, ohne mich selbst aufzugeben, und Anfang der sechziger Jahre hatte das viel mit Sex zu tun. Als Frau sollte man einen Mann finden, heiraten und Kinder haben. Doch in diese Richtung wollte ich nicht gehen, und deswegen erschien es mir damals so, als ob die sexuelle Befreiung auch eine Befreiung für die Frau wäre. Doch wie diese Idee in der Kommunediskussion ausartete, konnte ich nicht ertragen. Letztendlich sollte freie Sexualität bedeuten, dass die Frauen den Männern immer zur Verfügung stehen.
Wenn sich also die Männer das Recht anmaßten, zu schlafen, mit wem sie wollten, dann sollten es die Frauen auch tun können. Anfang der sechziger Jahre dachten wir noch, die einzige Art, uns zu beweisen, dass wir nicht unter männlicher Kontrolle stehen, wäre, zu schlafen, mit wem wir Lust hatten. Dazu gehörte aber die Möglichkeit, selbst zu entscheiden und keinesfalls sollten die Männer darüber bestimmen.
Die Leute vom SDS, mit denen Rudi meistens zu tun hatte, behandelten ihre Frauen nicht wie eine Partnerin, sondern wie ein Vorzeigeding, besonders wenn sie eine schöne Frau hatten. Und sobald die Frauen verheiratet waren, sollten sie sich wie eine verheiratete, also vom Mann abhängige Frau verhalten. Dass Rudi heiraten wollte, haben sie zuerst gar nicht akzeptiert. Aber danach wurde erwartet, dass ich mich als seine Frau "ordentlich" verhielt.
Die Heirat mit Rudi war aus meiner eigenen Sicht vielleicht tatsächlich ein Widerspruch zu dem, was ich in Amerika gedacht hatte. Aber ich glaube, dass ich es ganz gut schaffe, mit Widersprüchen zu leben. Der Hauptgrund, warum wir letzten Endes geheiratet haben, war, dass man 2000 Mark bekommen hat. Man hätte natürlich aus ideologischen Gründen auf das Geld verzichten können. Doch ich war nicht dogmatisch und fand dogmatische Ideen falsch. Aber das mich so viele nur als "Frau von Rudi" gesehen haben, fand ich furchtbar.

Quelle: Ute Kätzel
Die 68erinnen - Porträt einer rebellischen Frauengeneration
ISBN: 3 87134 447 8
Rowohlt, Berlin 2002, 22,90 Euro

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