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1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Machtergreifung
 

Mittelständische Organisationen
Hoffnungen auf einen Machtzuwachs hatte sich der "Nationalsozialistische Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand" gemacht, der die Gunst des Frühjahrs 1933 nutzte, um die traditionellen mittelständischen Ressentiments und Aktionen gegen Warenhäuser, Filialgeschäfte, Konsumgenossenschaften und Kapitalgesellschaften neu zu beleben. Seit der zweiten Märzwoche organisierte der Kampfbund überall im Lande Boykottaktionen gegen die jüdische Konkurrenz und alle Großbetriebsformen, die Handwerk und Einzelhandel schon lange ein Dorn im Auge waren.
Diese Bewegung mündete in die staatlich sanktionierte Boykottaktion vom 1. April gegen jüdische Geschäfte ein. Vor allem war sie der Hebel, um die mittelständischen Interessenverbände in die Hand zu bekommen. Verbandsvorsitzende wurden zum Rücktritt gezwungen, jüdische Vorstandsmitglieder ausgeschlossen und durch kommissarisch eingesetzte Angehörige des Kampfbundes ersetzt. Das geschah im Einzelhandel ebenso wie in den Verbänden und Innungen des Handwerks. Auch in viele Industrie- und Handelskammern konnte der Kampfbund eindringen, bis schließlich sein Führer Adrian von Renteln mit seinem Stellvertreter Paul Hilland die Position des Präsidenten bzw. des Geschäftsführers des Deutschen Industrie- und Handelstages erobern konnten.
Untergang der Agrarverbände
Am schnellsten fielen die Agrarverbände in nationalsozialistische Hand: In einigen von ihnen hatte die NSDAP schon seit 1929/30 Fuß gefaßt. Dies nutzte Walter Darré, der Vorsitzende des nationalsozialistischen Agrarpolitischen Apparates, im März 1933 ebenso wie die verbreitete Tendenz zur Vereinheitlichung des landwirtschaftlichen Verbandswesens, zu deren Verfechter sich nun die Nationalsozialisten wieder einmal machten.
Gab es Widerstände, wie im Falle der "Christlichen Bauernvereine", deren Präsident Andreas Hermes sich einer Vereinigung widersetzte, so griff man zum Mittel der Verhaftung und des Vorwurfs der angeblichen Veruntreuung. Schließlich konnte Darré alle Bauernvereine und den Reichslandbund vereinigen, und sich am 4. April 1933 "bitten" lassen, den Vorsitz der "Reichsführergemeinschaft" der landwirtschaftlichen Verbände zu übernehmen.
Erheblich mehr Druck mußte er aufwenden, um sich auch des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens zu bemächtigen. Am 20. April 1933 konnte er auch in diesem Bereich Vollzug melden, und auch die dritte Säule des landwirtschaftlichen Berufsstandes, die Kammern, fielen bald. Damit waren alle landwirtschaftlichen Berufsvertretungen in der Hand Darrés, der sich am 29. Mai mit dem Titel des "Reichsbauernführers" schmücken konnte. Als er nach dem Rücktritt Hugenbergs am 29. Juni 1933 auch noch das Amt des Landwirtschaftsministers übernahm, besaß er die Lenkung über den gesamten staatlichen, verbandspolitischen und parteipolitischen Agrarbereich. Eine Machtfülle, die nur Goebbels im Bereich der Kulturpolitik erreichen konnte.
Wirtschaftsverbände
Weniger dramatisch und weniger einschneidend verlief die Gleichschaltung der Industrie. Die Einflußnahme in diesem wichtigen gesellschaftlichen Bereich geschah ebenfalls im Zusammenwirken von Parteimaßnahmen von außen und dem Durchsetzungswillen von Hitler-Anhängern innerhalb des Verbandes. Der Schwerindustrielle Fritz Thyssen, der bislang nicht im Präsidium des "Reichsverbandes der Deutschen Industrie" (RDI) vertreten war, sah mit der Machtübernahme Hitlers auch die Chance der eigenen Einflußmehrung. Auf einer Sitzung des RDI am 23. März stellte er ganz unverhohlen die Machtfrage und forderte die Mitarbeit des Verbandes im neuen Staat sowie einen personellen Wechsel in der Verbandsführung.
Am 1. April 1933 wurde die Geschäftsstelle des RDI von einem SA-Trupp besetzt, was der nationalsozialistischen Fraktion im RDI nicht ungelegen kam. Das ganze endete damit, daß Otto Wagener, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP unter Androhung von Gewalt den Rücktritt des Geschäftsführers des RDI, Geheimrat Ludwig Kastl, erzwang und auch das Ausscheiden von Paul Silverberg, der als stellvertretender Verbandsvorsitzender sich seit 1932 für ein Bündnis der Industrie mit der NSDAP eingesetzt hatte. Ihm wurde nun seine jüdische Herkunft zum Vorwurf gemacht. Die verbliebene Geschäftsführung gab das geforderte "Gelöbnis unbedingter Gefolgschaftstreue". Thyssen wußte sich die Rückendeckung der Reichsregierung gegen jede voreilige Sonderaktion zu sichern. Am 29. Mai fand eine Besprechung Hitlers mit führenden Industriellen und Bankiers statt, zu deren Ergebnissen auch ein Erlaß Hitlers gehörte, mit dem die Welle von SA-Terror gegen angebliche korrupte Wirtschaftsführer gestoppt wurde.
Der Reichsverband, der sich am 22. Mai formell aufgelöst hatte, verwandelte sich, auch um die Kontrolle der NS-Kommissare loszuwerden, in eine autoritär geführte Zentralorganisation der Industrie. Das Führerprinzip wurde eingeführt, der RDI mit der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände zum "Reichsstand der deutschen Industrie" unter Führung von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach verschmolzen. Nach außen schien die Kontinuität gewahrt und der Gleichschaltungsvorgang glich zunächst eher dem Auswechseln eines Türschildes. Man nahm den staatlichen Eingriff in die traditionelle Verbandsautonomie hin und auch die Ausschaltung von rassisch und politisch mißliebigen Mitgliedern. Nur der konservative Schwerindustrielle Emil Kirdorf, ein früher Anhänger Hitlers, prangerte diese Vorgänge öffentlich als "Dolchstoß" an.
Entscheidend aber war, daß der neue Staat sich mit seinen wirtschaftspolitischen Ordnungsmodellen scheinbar in Übereinstimmung mit den antigewerkschaftlichen Interessen der Unternehmer befand. Auch mit ihren offen proklamierten Rüstungsabsichten stieß die nationalsozialistische Führung auf eine Gemeinsamkeit der Interessen. Besiegelt wurde die neue Kooperation auf Gegenseitigkeit mit der "Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft", die Krupp zusammen mit dem unermüdlichen ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht am 1. Juni gründete. Diese Aktion, die der NSDAP aus weiten Kreisen der deutschen Wirtschaft Spenden einbrachte, bedeutete zugleich für den einzelnen Spender eine gewisse Erleichterung, weil dadurch eine einheitliche Regelung des "Spendensolls" festgelegt wurde und die zuvor nicht immer "freiwilligen" Spendenaktionen von Partei und SAeingedämmt wurden. Mit der Einsetzung eines Beratungsgremiums von Staat und Industrie, dem "Generalrat der deutschen Wirtschaft", schien die Regierung zudem d Erwartungen der Schwerindustrie auf eine gezielte Einflußnahme zu entsprechen. Es waren ihr wirtschaftliches Potential und ihre Unentbehrlichkeit bei den Aufrüstungsplänen, die der Industrie hinter der Fassade der Gleichschaltung ein Eigengewicht gaben und ihr eine Art Teilhabe am Staat Hitlers sicherten. Nur das Militär konnte sich eine ähnliche Stellung bewahren. Beide aber, die Industriellen wie die Generäle, sollten durch dieses Bündnis immer mehr in die Abhängigkeit vom Regime geraten, die schließlich auch zur Komplizenschaft wurde.


Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
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