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Deutsche Geschichten


Widerstand
Mut ist es nicht allein. Und seine Meinungen kann man auch im stillen Kämmerlein haben. Warum lehnen sich Menschen auf ?
1944

Widerstand im Nationalsozialismus

Widerstand gegen fremde Eroberer, gegen feindliche Besatzung im eigenen Land gilt als notwendig, moralisch gerechtfertigt und gehört zu den patriotischen Pflichten. So hatten die Männer und Frauen, die gegen die deutsche Herrschaft überall in Europa während des Zweiten Weltkrieges kämpften, selbstverständlich die Zustimmung und den Beifall der meisten ihrer Landsleute, während die Kollaborateure mit dem nationalsozialistischen Regime verachtet wurden. Mit ihnen wurde nach dem Krieg ohne Erbarmen abgerechnet, in Norwegen und Frankreich ebenso wie in den Niederlanden oder in anderen Ländern Europas. Ganz anders verhielt es sich mit dem Widerstand in Deutschland selbst. Die Nationalsozialisten hatten bei ihrem Machtantritt 1933 zwar keineswegs die Mehrheit der deutschen Wähler hinter sich, aber sie wussten durch Propaganda und durch eine raffinierte Herrschaftstechnik, die Lok-kung und Zwang höchst wirkungsvoll verband, sowohl Gegner und Oppositionelle - das waren Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale und andere Demokraten - als auch ihre anfänglichen Verbündeten und Machtteilhaber - die Konservativen - auszuschalten.

Die Mehrheit des Volkes konnten die Nationalsozialisten rasch für ihre Ziele begeistern. Die Erfolge in der Aussenpolitik, die Scheinerfolge in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und der innere Frieden, der bis über den Beginn des Zweiten Weltkrieges hinaus im Deutschen Reich zu herrschen schien, bestätigten die Nationalsozialisten und festigten ihre Herrschaft. Dass die Gegner des Regimes in Konzentrationslagern und Gefängnissen verschwanden oder emigrieren mussten, berührte viele Menschen, die der NS-Herrschaft insgesamt oder teilweise zustimmten, wenig. Entscheidend für den Erfolg und die Stabilisierung des Regimes war auch, dass die bürgerlichen Parteien, die Mehrheit der Sozialdemokraten und der Gewerkschafter sich überrumpeln liessen und der Auflösung und dem Verbot ihrer Organisation im Sommer 1933 keinen Widerstand entgegensetzten. Obwohl prominente Vertreter der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und des politischen Katholizismus (Zentrum und Bayerische Volkspartei) in Gefängnissen und in Konzentrationslagern inhaftiert wurden, verhielt sich die Mehrheit der Mitglieder abwartend und passiv. Der Rückzug ins Private oder in die "innere Emigration" (eine Haltung der Nichtbeteiligung,

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Zeitzeugenbericht:
Widerstand im 3. Reich

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Politische Bildung
Kommunistische Gruppierungen
Das gemeinsame Ziel war die Überzeugung, den Sturz Hitlers herbeiführen zu müssen.

Politische Bildung
Sozialistische Gruppen
Es waren vor allem drei Organisationen, die sich vor 1933 von der Sozial- demokratie gelöst hatten und links von der SPD standen...

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Politische Bildung
Verweigerung im Alltag und Widerstand im Krieg
5000 Todesurteile trafen Widerstand-Leistende aus allen Kreisen und Schichten.

stiller Abwehr und Verweigerung) erschien auch vielen Regimekritikern als einziger Ausweg. Angesichts des Denunziantentums und der Möglichkeiten zum Terror, die der Staat schliesslich in Händen hatte, konnte man dem einzelnen auch kaum einen Vorwurf machen. Viele gaben sich ausserdem der trügerischen Hoffnung hin, die NS-Herrschaft könne nicht lange dauern - wegen des Dilettantismus ihrer Funktionäre, wegen der überspannten aussen- und militärpolitischen Ziele, wegen des Auslands, das die Provokationen und die Exzesse der Nationalsozialisten nicht endlos hinnehmen werde. Als diese Illusion sich als trügerisch erwies, hatten die Nationalsozialisten längst alle öffentlichen Einrichtungen nach ihrem Willen umgebaut oder beseitigt, den Rechtsstaat zerstört, einen Herrschaftsapparat aufgebaut, der als Staat im Staate funktionierte, mit eigenen Ausführungsorganen wie der Schutzstaffel (SS), der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), dem System der Konzentrationslager, womit sie ihre Gegner einschüchtern, einsperren und vernichten konnten. Nach zwölf Jahren war die Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) durch die militärische Niederlage des Deutschen Reiches beendet. Europa lag in Trümmern, Millionen Tote waren zu beklagen, auf den Schlachtfeldern, unter der Zivilbevölkerung und als Opfer der Verbrechen und Mordaktionen des nationalsozialistischen Regimes: sechs Millionen Juden, Hunderttausende Sinti und Roma, die dem Rassenwahn geopfert wurden, Oppositionelle, sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter aus vielen Nationen, Behinderte, Angehörige unerwünschter Minderheiten, als "Assoziale" denunzierte Menschen, Homosexuelle. Erklärungsversuche Schon in den dreißiger Jahren, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg, suchte die Welt nach Erklärungen für die Haltung der Deutschen, die dies alles, wenn nicht gewollt oder gebilligt, so doch hingenommen hatten, die dem "Führer" Adolf Hitler mindestens äusserlich bis zum Untergang die Treue gehalten hatten. Die Deutschen seien aufgrund ihres Charakters und ihrer Geschichte - so einer der Erklärungsansätze - besonders autoritätsgläubig veranlagt, zur Demokratie unfähig und daher bereit zur Unterordnung unter einen Führer, gleichzeitig aber gierig, sich als Herrenmenschen über andere Völker zu erheben, Deutschland zur Grossmacht zu machen, kurzum, alle Deutschen seien Nazis gewesen und fanatische Anhänger Hitlers: Das glaubten viele Menschen in aller Welt, als die Verbrechen der Hitlerregierung offenkundig wurden. Sich rechtfertigend und den pauschalen Vorwurf abwehrend, zogen sich Deutsche in grosser Zahl auf die Entschuldigung zurück, man habe nichts gewusst und auch nichts machen können. Konzentrationslager oder Verurteilung durch Sondergerichte oder Schlimmeres habe jedem gedroht, der sich nicht angepasst habe. Deutschland und die Deutschen seien die ersten Opfer von Hitler und seinem Unrechtsregime gewesen, lautete die Rechtfertigung. Tatsächlich brauchte es aber Zeit, das Terrorsystem aufzubauen und den Rechtsstaat zu beseitigen. Diese Zeit hatten die Nationalsozialisten zur Verfügung, weil sie lange auf die wachsende Begeisterung einer Mehrheit deutscher Bürger bauen konnten. Die Wahrheit über die deutsche Haltung ist komplizierter. Die Deutschen sind keineswegs aus Veranlagung anfällig für rechtsextreme Programme und Ideologien. Sie waren aber auch nicht ohnmächtige Opfer nationalsozialistischen Terrors. Es gab vielfältige Haltungen von Verweigerung, Opposition und Widerstand, aber es gab auch,

selbst bei Regimekritikern und entschiedenen Hitlergegnern, Übereinstimmungen in den Zielen und Loyalitäten gegenüber Vorgesetzten. Insbesondere lebten viele in Gewissenskonflikten: durfte man den Kampf gegen die eigene Obrigkeit führen, während das Vaterland bedroht war? Musste man nicht nach aussen hin zusammenstehen? Aus diesem Dilemma kamen die meisten Offiziere nicht heraus, die Hitler und die Nationalsozialisten verachteten, aber glaubten, dem äusseren Feind gegenüber ihre Pflicht tun zu müssen. Der Historiker Hans Mommsen kommt zu dem Schluss: "Die grosse Masse der Staatsbürger war bereit, dem Kabinett Hitler einen Vertrauensvorschuss einzuräumen, was sich bald als verhängnisvoll erwies. Die Vorstellung, das System von innen reformieren zu können, hielt sich auch bei den oppositionellen Gruppen ungewöhnlich lang. Der bürgerliche Widerstand stand zum Dritten Reich in einem Verhältnis gebrochener Loyalität, er lehnte dessen innenpolitische Methoden ab, stimmte aber in manchen aussen- und militärpolitischen Zielsetzungen überein." Weil ihnen die Werte "Freiheit" und "Demokratie" weniger galten als die Hoffnung auf eine Großmachtstellung Deutschlands, nahmen die Deutschen das NS-Regime hin, auch wo sie es missbilligten: "Nicht überlegene Manipulation und Herrschaftstechnik, sondern mangelnde Widerstandskraft der deutschen Gesellschaft gegen die Zerstörung der Politik ist die entscheidende Ursache der deutschen Katastrophe." (Hans Mommsen) Hilfsdienste Neuere Ergebnisse eines Forschungsprojekts haben noch bittere Wahrheiten über das "Dritte Reich" zutage gefördert.
Die Gestapo war gar nicht das allmächtige und allgegenwärtige Instrument des Terrors, das jederzeit und überall Regungen des Widerstandes erstickte und Oppositionelle vernichtete. Die Historiker Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul ziehen nach gründlichen Studien über Herrschaft und Alltag im Saarland das Fazit: "Ohne das Heer der freiwilligen Zuträger aus der Bevölkerung und Verwaltung wäre die Gestapo nahezu blind gewesen. Und ohne die Amtshilfe durch Kriminalpolizei, Schutzpolizei und Gendarmerie hätte sie die ihr aufgetragenen Funktionen nicht erfüllen können [...] Die Gestapo bildete zwar die letzte Instanz, war aber in den wenigsten Fällen die treibende Kraft. Sie verhörte, selektierte, entschied, deportierte, verwarnte; zu selbständigen Recherchen aber war sie kaum in der Lage. Die breite Kollaboration mit dem Regime, die gesellschaftliche Akzeptanz des Terrors hoben diese Defizite auf und verschafften der Gestapo viele Ohren, gerade auch im Umfeld der Regimegegner."

Literatur
Klaus Harpprecht -
"Harald Poelchau - Ein Leben im Widerstand"

Im Jahr 1933 übernahm ein junger Theologe das Amt des Gefängnispfarrers in der Berliner Haftanstalt Tegel: HARALD POELCHAU. Er ahnte nicht, dass er in den folgenden zwölf Jahren dem mörderischen Charakter des Nationalsozialismus so hautnah begegnen sollte. Mehr als eintausend zum Tode verurteilte Häftlinge hat er auf ihren Gang zum Henker vorbereitet, einige hundert bis zur Richtstätte begleitet. Doch blieb es nicht bei seelischem Beistand. Unter dem Schutz, den er als Geistlicher genoss, hat Poelchau im Widerstand fast täglich sein Leben riskiert und in Berlin ein Netzwerk aufgebaut, dass politisch und rassisch Verfolgten Unterschlupf bot und vielen das Leben rettete. Zum ersten Mal wird jetzt die bewegende Lebensgeschichte Poelchaus in einer Biographie dargestellt. "Harald Poelchau ist eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstands gegen Hitler" (Peter Schneider). Gewiss war er einer der tapfersten, menschlichsten und bescheidensten.

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Parteien – Organisationen

Die ideologische Gegenposition, aber auch parteipolitische Konkurrenz waren die treibenden Kräfte beim Kampf der Arbeiterbewegung gegen Hitlers NSDAP vor deren Machtübernahme. Allerdings waren viele Kräfte der Arbeiterbewegung im Kampf gegeneinander gebunden. Die KPD verunglimpfte die Sozialdemokraten als "Sozialfaschisten" und scheute auch nicht davor zurück, sich gelegentlich mit der NSDAP gegen die SPD und andere Parteien zu verbünden.

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Die kommunistische Partei
Als einzige große Organisation bereitete sich die KPD frühzeitig auf die Fortsetzung ihres Kampfes gegen die NSDAP vor ...

Die SPD hingegen wollte absolut nichts mit den moskauhörigen Kommunisten zu tun haben. Die NSDAP als gemeinsamer Gegner war der Nutznießer. Die Feindschaft der KPD zum parlamentarisch-demokratischen System schloss die Sozialdemokraten zwangsläufig ein. Diese wiederum waren durch ihren strikten Legalitätskurs auch angesichts regierungsamtlicher Verfassungsbrüche wie dem "Papenstreich" gegen die Preußische Regierung am 20. Juli 1932 an wirksamen Widerstandsaktionen (einem Generalstreik etwa) gehindert. Die Führung der SPD war nicht bereit, den Boden des verfassungsmäßig Erlaubten zu verlassen oder auch nur den Anschein davon zu erwecken, bis es zu spät war, weil die Feinde der Verfassung Recht und Gesetz zerstört hatten.

Der erste nationalsozialistische Wahlerfolg im Herbst 1930 führte zur Wiederbelebung des 1924 als Selbstschutzorganisation der demokratischen Linken gegründeten politischen Kampfverbands "Reichsbanner Schwarz Rot Gold". Ziel des Verbandes war die Verteidigung von Republik und Verfassung durch Propaganda und entschiedenes, organisiertes Auftreten gegenüber rechten Extremisten. Aufmärsche und Kundgebungen bei denen Stärke gezeigt wurde, waren die Mittel, mit denen gekämpft wurde. Offiziell überparteilich war die Organisation fast ganz von der SPD getragen; sie stellte vier Fünftel der rund drei Millionen Mitglieder, die mit der SA, dem Bund der Frontsoldaten "Stahlhelm" und anderen "Parteiarmeen" um die Herrschaft auf der Strasse rangen. Gründer und Bundesvorsitzender bis 1932 war der Magdeburger Oberbürgermeister Otto Hörsing, dem Karl Höltermann, ein sozialdemokratischer Journalist folgte. Die eigentliche "Truppe" des Reichsbanners bildeten die eine Woche nach der Reichstagswahl gegründeten "Schutzformationen (Schufo)" mit annähernd 400000 Mitgliedern, die sich aktiv an den bürgerkriegsartigen Kämpfen in der Endphase der Weimarer Republik beteiligten. Sie traten zur Verteidigung der Demokratie gegen Extremisten und Terroristen von rechts und

links an. Nach dem "Papenstreich" verfiel auch das Reichsbanner zunehmend in Resignation. Gegen die Koalition der bürgerlichen Rechten mit Hitler war im Dezember 1931 die "Eiserne Front" als "Wall von Menschenleibern gegen die faschistische Gefahr" gegründet worden. Geführt von Höltermann sollten sich die Kräfte von SPD, Freien Gewerkschaften, Reichsbanner und Arbeitersportlern in einem republikanischen Bündnis vereinigen. Es schlossen sich nur noch Organisationen der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (die sich seit 1930 Staatspartei nannte) an. Den Kern der "Eisernen Front" bildeten die Einheiten der Schufo. Entschlusslosigkeit der Führung verhinderten Aktionen des Reichsbanners bzw. der "Eisernen Front" gegen die Machtübernahme Hitlers. Solche Widerstandsaktionen waren bis ins Frühjahr 1933 hinein von vielen Mitgliedern gefordert worden, die kein Verständnis dafür hatten, dass sie nicht mit einem Generalstreik oder ähnlichen Aktionen für die Republik kämpfen durften. Ihre Führung scheute den Vorwurf ungesetzlicher Handlungen mehr als alles andere. Allerdings zögerte sie nicht nur aus Legalitätsdenken, sondern auch wegen des Blutvergießens, das unvermeidlich gewesen wäre beim Zusammenstoss mit der SA und anderen rechten Bürgerkriegstruppen.
In der SPD gab es eine Gruppe junger Reichstagsabgeordneter, die der Parteiführung kritisch gegenüberstanden und kämpferischer für die Verteidigung der Republik eintraten. Sie wurden "Militante Sozialisten" genannt; zu ihnen gehörten u. a. Carlo Mierendorff, Theodor Haubauch und Kurt Schumacher, der nach 1945 Vorsitzender der Partei wurde. Nach einer Attacke auf Goebbels und die NSDAP in einer Reichstagsrede am 23. Februar 1932 war Schumacher schlagartig bekannt geworden. Er vermehrte aber auch um ein beträchtliches den Zorn der Nationalsozialisten, den er sich schon als württembergischer Reichsbannerführer zugezogen hatte. Fast die ganze Zeit der NS-Herrschaft war er deshalb in KZ-Haft. Im Reichstag hatte er im Februar 1932 der NSDAP entgegengeschleudert, das deutsche Volk werde Jahrzehnte brauchen, "um wieder moralisch und intellektuell von den Wunden zu gesunden, die ihm diese Art Agitation geschlagen hat".
Seine vollkommene Verachtung fasste er in den Worten zusammen: "Wenn wir irgend etwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, dass ihm zum erstenmal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist."; Aber gleichweit entfernt war seine Position von den Kommunisten. Er hatte sie Ende März 1930 in einem Referat bei der Württembergischen Gaukonferenz des "Reichsbanners Schwarz Rot Gold" "rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten" genannt und verkündet: "Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und Vorliebe für die Gewalt."

Die Sozialdemokratie

Die SPD war bis 1932 die stärkste, dann nach den sensationellen Erfolgen der NSDAP die zweitstärkste und vor allem die am besten organisierte Partei in Deutschland. Auch angesichts der Exzesse nach Hitlers Machtübernahme war sie entschlossen, den Weg der Legalität keinen Finger breit zu

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verlassen. Der Parteivorstand ließ sich in dieser Haltung auch nach dem Reichstagsbrand und seinen Folgen nicht beirren. Die Parteibasis hatte allerdings dafür nicht immer Verständnis. Die SPD verstand sich zur Zeit der Machtübernahme Hitlers als Opposition, die mit aller Schärfe, aber nur mit legalen Mitteln, gegen die Hitlerregierung und die NSDAP kämpfen wollte. Dazu bestand bald keine Möglichkeit mehr. In den Reichstagswahlen am 5. März 1933 hatte die SPD noch 120 Mandate errungen. Am 23. März wurde über das von Hitler verlangte Ermächtigungsgesetz abgestimmt, mit dem das Parlament sich selbst entmachtete, weil es mit mehr als der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit der Reichsregierung Vollmacht zur Gesetzgebung nach Belieben erteilte. SA und SS hatten das Gebäude abgeriegelt, die kommunistischen Abgeordneten konnten schon nicht mehr an der Sitzung des Reichstages teilnehmen. 94 Sozialdemokraten waren noch anwesend, 26 waren bereits verhaftet oder befanden sich auf der Flucht.
Die Rede, mit der der SPD-Vorsitzende Otto Wels die Zustimmung der Sozialdemokraten zum "Ermächtigungsgesetz" verweigerte, war das letzte offen ausgesprochene Wort des Widerstandes in einem deutschen Parlament gegen die Errichtung der NS-Diktatur: "Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren. Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechts, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten."
Nach diesem feierlichen Bekenntnis schloss er unter dem Gelächter der NSDAP-Abgeordneten und lebhaftem Beifall der Sozialdemokraten: "Wir grüssen die Verfolgten und Bedrängten.

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Gegenwehr der Verfolgten
Für Juden, Zeugen Jehovas, Sinti, Roma und andere gejagte Minderheiten bedeutete "Widerstand" etwas anderes, als für konservative Beamte und adelige Offiziere, die nicht von vornherein als Gruppe bedroht waren.

Wir grüssen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft."
Diese war noch viel weiter entfernt, als selbst die Pessimisten innerhalb der Arbeiter-

bewegung vermuteten. Der Sturm auf die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 endete mit der Zerschlagung der Gewerkschaften, die als soziale Errungenschaft der Stolz der deutschen Arbeiterbewegung waren und als Vorbild in der ganzen Welt bewundert wurden. Schlimmer noch als der Verlust des Vermögens und aller gewerkschaftlichen Einrichtungen an die NSDAP war für das Selbstbewusstsein der Arbeiter, dass die Führung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes unter demonstrativer Abkoppelung von der SPD versucht hatte, sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren, in der so vergeblichen wie irrigen Hoffnung - zu retten, was noch zu retten war.

Am 10. Mai 1933 wurde auch das Parteivermögen der SPD beschlagnahmt, soweit es nicht bereits ins Ausland gerettet worden war. Am 22. Juni erging das Verbot jeglicher politischer Tätigkeit, gleichzeitig erloschen alle Mandate der SPD im Reichstag und in den Länderparlamenten. Viele sozialdemokratischen Funktionäre wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Das Umfeld der SPD, von den Arbeiterbildungsvereinen bis zur Arbeitersportbewegung und allen voran natürlich das "Reichsbanner Schwarz Rot Gold" als Kampforganisation für Demokratie und Rechtsstaat, waren bereits dem Druck des nationalsozialistischen Terrors erlegen.

Vorstand im Exil

Der SPD-Vorstand hatte zuletzt auf eine Doppelstrategie gesetzt. Gestützt auf die Parlamentsmandate wollte die Partei politisch aktiv und präsent bleiben; gleichzeitig baute sie ab Frühjahr 1933 in Prag eine Auslandszentrale auf, von der aus die illegale Weiterarbeit im Deutschen Reich geleitet werden sollte. Nach dem Verbot im Juni verblieb nur noch der Exilparteivorstand in Prag. Um den Einfluss in Deutschland nicht zu verlieren, wurde das Parteiorgan in Prag weiter publiziert und hieß jetzt "Neuer Vorwärts". Grenzsekretariate wurden rings um Deutschland eingerichtet. Kuriere brachten dorthin Nachrichten und Berichte aus Deutschland über die soziale Lage der Arbeiterschaft sowie über die Einstellung der Bevölkerung zum Regime. Sie transportierten von diesen Stellen aus Flugschriften und anderes Propagandamaterial ins Reich. Mit Erlebnisberichten und einer Dokumentation über die Konzentrationslager, in denen zu diesem Zeitpunkt schon 50000 Menschen gefangengehalten wurden, versuchte die Exil-SPD bereits 1934, die Nachbarstaaten auf den Terror der Nationalsozialisten aufmerksam zu machen.

Die SPD-Führer im Prager Exil arbeiteten seit Herbst 1933 an einer Programmschrift, um ihrer Opposition gegen die nationalsozialistischen Machthaber ein Ziel zu geben und die theoretische Position der SPD zu klären. Ende Januar 1934 wurde das "Prager Manifest" veröffentlicht. Darin hieß es, die Wiedereroberung demokratischer Rechte sei eine "Notwendigkeit, um die Arbeiterbewegung als Massenbewegung wieder möglich zu machen". Der "Kampf um die Demokratie" erweitere sich zum "Kampf um die völlige Niederringung der nationalsozialistischen Staatsmacht".

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Die Verfasser des "Prager Manifests" hatten über die Sofortmaßnahmen nach der Beseitigung des Nationalsozialismus hinaus die Vision eines erneuerten demokratischen Staates und einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. Dazu sollten der bisherige politische Apparat aufgelöst und die Eliten in Bürokratie, Justiz, Polizei und Militär ausgetauscht sowie die Trennung von Kirche und Staat vollzogen werden.

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Die Kirchen
Die Kirchen standen zunächst dem Nationalsozialismus nicht in grundsätzlicher Ablehnung gegenüber...

Als Ideal war die Überwindung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft propagiert: "An die Stelle des Machtstaates, der durch Militär, Bürokratie und Justiz seine Untertanen beherrscht, tritt die Selbstverwaltung der Gesellschaft, in der jeder zur Mitwirkung an den allgemeinen Aufgaben berufen ist." Das war ein Bekenntnis zu Formen direkter Demokratie. Die entschädigungslose Enteignung von Grossgrundbesitz und Schwerindustrie sowie die Vergesellschaftung der Großbanken gehörten ebenfalls zu den Forderungen des "Prager Manifests", mit denen auch die Menschenwürde und die Entfaltung freier Persönlichkeit propagiert wurde. Das "Prager Manifest" schloss mit dem Aufruf an die deutsche Arbeiterschaft, die "Ketten der Knechtschaft" abzuschütteln.
Vor dem Einmarsch deutscher Truppen, mit dem im Frühjahr 1939 die Zerschlagung der Tschechoslowakei besiegelt wurde, floh der sozialdemokratische Parteivorstand nach Paris. Ein Jahr später, kurz vor der Besetzung der französischen Hauptstadt durch deutsche Truppen am 14. Juni 1940, konnten sich die SPD-Führer des Exils zum Teil nach London retten. Einige fielen den Nationalsozialisten in die Hände wie Rudolf Breitscheid, der im KZ Buchenwald im August 1944 oder Rudolf Hilferding, der schon Anfang 1941 in einem Pariser Gefängnis ums Leben kam. Breitscheid und Hilferding, die als prominente Sozialdemokraten in Paris im Exil lebten, waren von der französischen Polizei Ende 1940/Anfang 1941 der Gestapo ausgeliefert worden. Der SPD-Vorstand blieb im Londoner Exil, viel bewirken konnte er von dort aus nicht mehr.
Als Kurt Schumacher, der bei den Nationalsozialisten besonders verhasste sozialdemokratische Politiker, der die meiste Zeit des Dritten Reiches im KZ verbringen musste, 1945 die SPD neu aufbaute, vereinigten sich die Sozialdemokraten des Exils, an ihrer Spitze Erich Ollenhauer, mit den in der inneren Emigration verbliebenen und den aus der Haft entlassenen Überlebenden des Widerstandes.

Stille Verweigerung

Ein großer Teil der Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung hatte sich, scheinbar resigniert, nach dem Verbot der Partei ins Private zurückgezogen, pflegte aber im Umfeld von Arbeitersiedlungen und Vorstädten das sozialdemokratische Milieu, das in Formen von Nachbarschaft, Geselligkeit, Kameradschaft und gegenseitiger Hilfe eine Zone bildete, in der nationalsozialistische Ideologie ohne Einfluss und NS-Propaganda ohne Wirkung blieben. Ihre Grundhaltung war stille Verweigerung und Resistenz. Das äußerte sich im Abhören verbotener Auslandssender, im Austausch von regimekritischen Ansichten im kleinen Kreis, in Läden und Gaststätten, die von Sozialdemokraten betrieben wurden und als Nachrichtenbörsen und Orte des Trostes unter Gleichgesinnten dienten.
Das war kein Widerstand und wurde von der NS-Herrschaft als nie bedrohlich angesehen. Die oppositionelle Haltung schwächte sich auch vorübergehend ab, als die Arbeitslosigkeit überwunden war und die außenpolitischen und militärischen Erfolge des Regimes einsetzten. Der Verlauf des Krieges und schließlich die sich abzeichnende Niederlage stärkten die oppositionelle Einstellung wieder. Das auf inneren Vorbehalt und Tradition gegründete Zusammengehörigkeitsgefühl blieb jedenfalls so stark, dass die Sozialdemokratie als Partei nach dem Zusammenbruch des NS-Staates die überlieferten Strukturen wiederbeleben und darauf aufbauen konnte.
Einige der aktivsten sozialdemokratischen Widerstandskämpfer erlebten die Wiedergeburt der Partei jedoch nicht mehr. Sie hatten, wie Julius Leber, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner, Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein, vor 1933 keine Spitzenpositionen im Apparat der SPD eingenommen.

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Widerstand vor 1933
"Dass der Nazi dir einen Totenkranz flicht: Deutschland, siehst du das nicht?" fragte Kurt Tucholsky 1930 in seinem Gedicht "Deutschland, erwache".

Meist waren sie Redakteure bei Parteizeitungen oder Parlamentarier; Leuschner war Innenminister in Hessen gewesen, der Pädagoge Reichwein, bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten Professor an der Pädagogischen Hochschule Halle, war erst 1932 zur SPD gekommen. Die Genannten überwanden im Widerstand die eigenen Parteigrenzen und suchten Kontakt zu Andersdenkenden. Sie spielten wichtige Rollen in allen überparteilichen Widerstandskreisen, in denen sich vor allem seit Kriegsausbruch Menschen konservativer, liberaler, parteiungebundener, christlicher und sozialdemokratischer Gesinnung

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in der Gegnerschaft zum Hitlerstaat trafen. Adolf Reichwein war Mitgründer des Kreisauer Kreises, er stand dem Grafen Stauffenberg und damit den Verschwörern des 20. Juli nahe. Reichwein brachte auch Haubach und Mierendorff zu den Kreisauern. Haubach hatte Kontakt zum Goerdeler-Kreis, Julius Leber zur Militäropposition. Leber gehörte ab 1943/44 auch zum Kreisauer Kreis, war mit Stauffenberg befreundet und hatte ab Sommer 1944 Verbindung zu Kommunisten, nämlich zur Saefkow-Gruppe. Die Verhaftung von Reichwein und Leber Anfang Juli 1944 machte Hoffnungen des Widerstandes zunichte. Das gescheiterte Attentat am 20. Juli riss auch Haubach und Leuschner in den Abgrund. Im Herbst 1944 wurden die Sozialdemokraten Leuschner und Reichwein, im Januar 1945 Leber und Haubach hingerichtet. Mierendorff war bei einem Luftangriff umgekommen. Sie alle hätten wichtige Aufgaben in einer Regierung nach Hitler haben sollen, Leber als Reichsinnenminister, Leuschner als Vizekanzler oder Reichspräsident, Reichwein als Kulturminister. Weder die Mitgliedschaft in einer Organisation oder die Zugehörigkeit zu einer politischen und weltanschaulichen Gruppierung noch die Herkunft oder ausgeprägte politische Überzeugung waren die Voraussetzungen für Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Einsicht in staatlicherseits begangenes Unrecht, die Erkenntnis, dass das nationalsozialistische Regime die Grenzen staatlicher Befugnis überschritt, die Empörung über die diskriminierende Behandlung von Minderheiten und Randgruppen (Juden, Sinti und Roma ebenso Homosexuelle und Behinderte, später Zwangsarbeiter fremder Nationalität und Kriegsgefangene) führten ebenso wie Mitleid und Solidarität mit Verfolgten einzelne Menschen zu individueller Auflehnung.

Literatur
Arno Lustiger -
"Wir werden nicht untergehen"

Die Auffassung der meisten Historiker, dass sich die Juden wie Lämmer zur Schlachtbank haben führen lassen, war für Arno Lustiger, der den Holocaust mit knapper Not überlebte, Ansporn für seine "notwendige Ergänzung der Geschichtsschreibung". Deshalb gehört seine publizistisches Hauptengagement seit den achtziger Jahren, dass das gängige Bild von der Geschichte der Juden Europas revolutionierte, der Aufarbeitung des jüdischen Widerstandes. Ihm ist es zu verdanken, dass in Deutschland - wie auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern - endlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist: die Juden haben unter nationalsozialistischer Terrorherrschaft sehr wohl und zwar in großem Ausmaß Widerstand geleistet.

Die Formen reichten von der Verweigerung bis zum offenen Protest, von der heimlichen Hilfe für Juden bis zum Attentat auf Hitler.
Das immer perfekter arbeitende System des Terrors zog enge Grenzen für regimegegnerische Aktivitäten. Andererseits gab es, wie die vielen Bekundigungen des Missfallens gegen den Boykott jüdischer Geschäfte 1933, gegen den Novemberpogrom 1938 oder gar der Protest in der Berliner Rosenstraße 1943 zeigen, Möglichkeiten, Opposition zu leisten, die mindestens die Wirkung hatte, die Machthaber zu beunruhigen. Die nachträgliche Frage ist müßig, was geschehen wäre, wenn mehr Menschen sich zum Protest erhoben hätten. Mit Zivilcourage, die auch vor hohem Risiko nicht versagte, beschlossen einzelne aus ganz unterschiedlichen Motiven und Anlässen etwas zu unternehmen, um der Diktatur Einhalt zu gebieten oder wenigstens deutlich Protest zu erheben. Am 1. April 1933, wenige Wochen nach ihrer Machtübernahme hatte die NSDAP

die Deutschen zum Boykott gegen jüdische Geschäfte, Ärzte, Anwälte aufgerufen. Vor Läden, Kanzleien und Praxen standen SA-Männer mit der Aufforderung "Kauft nicht bei Juden" und versuchten, Kunden, Patienten, Klienten am Betreten der Geschäfts- und Büroräume zu hindern. Die Aktion war kein Erfolg. Aus vielen Städten wurde berichtet, dass die Bevölkerung die Aufforderung missachtet habe, ja vielfach wurde ganz demonstrativ bei Juden gekauft, um die Missbilligung der Aktion auszudrücken.

Julius von Jans: Bußtagspredigt 1938

Je länger die NS-Herrschaft dauerte, desto schwieriger und seltener wurden solche Demonstrationen der Solidarität mit der unterdrückten jüdischen Minderheit und der Bekundung von Opposition gegen das Regime. Die Mehrheit der Deutschen ließ sich einschüchtern, viele äußerten ihre Abneigung nur noch heimlich, die meisten gewöhnten sich an den Unrechtsstaat, seine Diskriminierungen und Untaten.
Aber es gibt auch viele Beispiele von Widerstand einzelner Personen, die ihrem Gewissen folgten und nicht bereit waren, alles hinzunehmen. Drei Fälle öffentlichen Widerstandes. Aus individueller Verantwortung werden im folgenden beschrieben: die Bußtagspredigt eines evangelischen Pfarrers 1938, ein Attentatsversuch 1939 und der Frauenprotest 1943.

In der Nacht des 9. November 1938 hatte die NSDAP einen Pogrom gegen die deutschen Juden inszeniert. Angestachelt vom Reichspropagandaminister Goebbels, der das Attentat des 17jährigen polnischen Juden Herschel Grünspan gegen einen Beamten der deutschen Botschaft in Paris zum Anlass nahm, überfielen SA-Männer und NSDAP-Funktionäre Synagogen, Geschäfte und Wohnungen von Juden im ganzen Reich. Der Schaden durch Zerstörung, Plünderung und Brandstiftung war beträchtlich. Tausende Juden wurden gedemütigt und misshandelt, die Zahl der Ermordeten ging in die Hunderte. In den Tagen nach dieser Pogromnacht wurden rund 30000 deutsche Juden in Konzentrationslager gesperrt. Die Politik des NS-Staates gegen die Juden hatte eine neue Stufe erreicht: Der Diskriminierung, Isolierung und Entrechtung folgten jetzt die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzen und die Vertreibung aus Deutschland. Der inszenierte Pogrom vom 9. November 1938 stieß viele Deutsche ab. Selbst wenn sie keine Freunde der Juden waren, empörten sie sich über die Formen der Entrechtung der jüdischen Minderheit in Deutschland.

Literatur
Walter H. Pehle (Hrsg.)-
"Der Judenpogrom 1938 - Von der "Reichskristallnacht" zum Völkermord"

"Damals glaubten wir, dass dies der Höhepunkt der Judenverfolgung sei. In Wahrheit war es das letzte Alarmsignal vor der Vernichtung." Von dieser dramatischen Fehleinschätzung handelt das vorliegende Buch. Aus dem Inhalt: Wolfgang Benz: Bericht über Pogrom / Trude Maurer: Die Ausweisung der >>Ostjuden<< als Vorwand / Uwe D. Adam: Wie spontan war der Pogrom? / Avraham Barkai: Die Ausplünderung der deutschen Juden / Jonny Moser: Die Entrechtung durch Gesetze, Erlasse u.ä. / Konrad Kwiet: Gehen oder bleiben? – die Existenzfrage / Wolf Zuelzer: Erinnerungen eines Ausgewanderten / Hermann Graml: Zur Genesis der >>Endlösung<< / Hans Mommsen: Was haben die Deutschen gewusst? / Abraham J. Peck: Erneut gefangen: Juden in DP-Lagern

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Julius von Jan, seit 1935 evangelischer Pfarrer im württembergischen Oberlenningen, damals 41 Jahre alt, als Mann der Bekennenden Kirche und Kritiker der regimehörigen "Deutschen Christen", war den Behörden schon unliebsam aufgefallen. Er konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, in stiller Empörung zu verharren. Den Bußtag am 16. November 1938 benutzte er, um seine Gemeinde an Christenpflicht zu erinnern. "In diesen Tagen wurde es mir innerlich klar, dass längeres Schweigen Sünde wäre." Die Predigt war eine eindrucksvolle und in ihrer Deutlichkeit einmalige Demonstration gegen den Antisemitismus und gegen den NS-Staat. Von Jan erinnerte daran, wieviel mutige Männer bereits "in Konzentrationslagern mundtot gemacht" worden seien, nur weil sie die Wahrheit gesagt hätten. Mit Schärfe kritisierte er sodann die Verbrechen, die in der Pogromnacht begangen worden seien und forderte die Deutschen zur Buße auf.
Am Ende des Gottesdienstes verlas er zur Fürbitte eine Liste von Pfarrern, die mit Redeverbot oder Landesverweisung bestraft worden waren und im Schlussgebet bat er, dass Gott "dem Führer und aller Obrigkeit den Geist der Buße schenken möge". Einige Tage später, am 25. November 1938, wurde von Jan von SA-Leuten vor seinem Pfarrhaus verprügelt, auf das Dach eines Schuppen geworfen, schließlich ins Rathaus gebracht und verhaftet. Bis Februar 1939 blieb er in Kirchheim/Teck inhaftiert, wurde dann nach Stuttgart überführt, geriet im März aus dem Gewahrsam der Justiz in Gestapo-Haft. Am 13. April wurde er entlassen und zwei Tage später aus Württemberg verwiesen. Ab Juli 1939 lebte er in einem evangelischen Freizeitheim in Bayern in der Nähe von Passau.
Vom Sondergericht Stuttgart wurde Julius von Jan aufgrund des "Heimtückegesetzes" am 15. November 1939 zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. Ihm wurde dabei zur Last gelegt, er habe "1) öffentlich gehässige, hetzerische und von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leiten- de Persönlichkeiten des Staates und der NSDAP, über ihre Anordnungen und die von ihnen geschaffenen Einrichtungen gemacht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, und in Tateinheit hiermit 2) als Geistlicher in einer Kirche vor mehreren Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand seiner Verkündigung und Erörterung gemacht".
Anfang Juni 1943 wurde der Geistliche zum Kriegsdienst, u. a. an der Ostfront, eingezogen. Im September 1945 kehrte er in sein Pfarramt nach Oberlenningen zurück.

Georg Elsers Attentat

Am Abend des 8. November 1939 verhafteten in Konstanz zwei Zollbeamte um 20.45 Uhr einen 36jährigen Mann, der illegal die Grenze zur Schweiz überschreiten wollte. Man fand bei ihm Aufzeichnungen über die Herstellung von Munition, Metallteile eines Zünders, und eine Ansichtskarte des Münchener Bürgerbräukellers. Im Festsaal dieser Gaststätte explodierte wenig später, um 21.20 Uhr, eine Bombe. Sieben Menschen fanden sofort den Tod, über sechzig wurden verletzt, einer starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Gegolten hatte der Anschlag Adolf Hitler, der jedes Jahr an diesem Ort seine Getreuen aus der "Kampfzeit der NSDAP" um sich scharte, um seines Putschversuches zu gedenken, der am 8. November 1923 im Bürgerbräukeller begonnen hatte. Hitler hatte an jenem Gedenktag 1939 den Saal gegen 21.10 Uhr - weit früher als üblich - verlassen, weil er wegen schlechten Wetters nicht mit dem Flugzeug nach Berlin zurückkehren konnte, sondern einen Sonderzug benutzen musste, der ihn zu einer Besprechung in die Reichshauptstadt brachte.
Dass Hitler der Bombe, die in einer Säule direkt hinter dem Rednerpult detonierte, so knapp entging, wurde von der national-

sozialistischen Propaganda als Fügung des Schicksals, als Akt der "Vorsehung" gefeiert; andererseits aber gerade deswegen von vielen als heimtückische Inszenierung der Nazis selbst angesehen. Um die Unverletzlichkeit und Unangreifbarkeit des Führers zu demonstrieren, hätten die Nationalsozialisten das Leben der eigenen Leute geopfert, meinten diejenigen, die an einen Propagandatrick glaubten. Zuzutrauen war das den nationalsozialistischen Technikern der Macht, aber es entsprach ebensowenig den Tatsachen wie die Behauptung des Propagandaministers Goebbels und der fixen Idee Hitlers, nach der ausländische Auftraggeber hinter dem Anschlag steckten. Den Attentäter hatte man rasch ermittelt. Der beim illegalen Grenzübertritt in Konstanz festgenommene Mann, Georg Elser, in dessen Tasche das Bild des Tatorts und allerlei weitere Beweisstücke gefunden wurden, den man zuerst nur der Fahnenflucht verdächtigte, legte am 14. November ein Geständnis ab.
Wer war dieser Mann und was hatte ihn zu seiner Tat bewogen? Georg Elser, 1903 in Hermaringen im Landkreis Heidenheim in Württemberg geboren, wuchs in sehr einfachen Verhältnissen auf. Er war in der Volksschule ein mittelmäßiger Schüler, schloss aber 1922 eine Schreinerlehre als Jahrgangsbester ab. Nach der üblichen Wanderschaft arbeitete er als Schreinergeselle, ab 1932 im heimatlichen Königsbronn. Elser interessierte sich nicht für Politik. Er wählte bis 1933 zwar regelmäßig die KPD, weil er glaubte, diese Partei sorge am ehesten für die Interessen der Arbeiter; er trat auf das Werben eines Arbeitskollegen sogar in den "Roten Frontkämpferbund" ein. Elser setzte sich aber weder mit den politischen Zielen der Kommunisten auseinander noch nahm er sie zur Kenntnis.
Elser war ein verschlossener Einzelgänger, er hatte einen ausgeprägten Sinn für Recht und Gerechtigkeit und in seiner Berufsehre als Schreiner war er empfindlich.

Soziale Motive

Die Motive, die Georg Elser für seinen Bombenanschlag nannte, waren ein vernichtendes Urteil über die NS-Herrschaft, gesprochen von einem einfachen Mann aus dem Volke, der nicht an politische oder weltanschauliche Theorien gebunden war. Elser war aufgrund ganz handfester Tatsachen zur Überzeugung gekommen, dass sich die Lage der kleinen Leute, um deren Wohl die NSDAP angeblich so besorgt war, drastisch verschlechtert hatte, seit die Nationalsozialisten an der Macht waren: "So z. B. habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. Während ich im Jahre 1929 in der Uhrenfabrik in Konstanz durchschnittlich 50,- RM wöchentlich verdient habe, haben die Abzüge zu dieser Zeit für Steuer, Krankenkasse, Arbeitslosenunterstützung und Invalidenmarken nur ungefähr 5,- RM betragen. Heute sind die Abzüge bereits bei einem Wochenverdienst von 25,- RM so hoch. Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahre 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfg. bezahlt. Aus Unterhaltungen mit verschiedenen Arbeitern ist mir bekannt, dass auch in anderen Berufsgruppen nach der nationalen Erhebung die Löhne gesenkt und die Abzüge größer wurden.
[...] Ferner steht die Arbeiterschaft nach meiner Ansicht seit der nationalen Revolution unter einem gewissen Zwang. Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will, er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen. [...] Diese Feststellungen und Beobachtungen habe ich bis zum Jahre 1938 und auch in der Folgezeit gemacht. Ich habe noch im Laufe dieser Zeit festgestellt, dass deswegen die Arbeiterschaft gegen die Regierung eine Wut hat."

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So steht es im Protokoll der Gestapo, die Elser vom 19. bis 23. November 1939 in Berlin im Reichssicherheitshauptamt verhörte. Dass möglicherweise viele so dachten wie der Attentäter, dass er ein ganz schlichter Handwerker ohne politischen Ehrgeiz, ohne Hintermänner oder Verbindungsleute zu irgendwelchen Widerstandskreisen war, das machte ihn für die Nationalsozialisten so unheimlich. Mit Legenden und Gerüchten über die angeblichen Drahtzieher hinter Georg Elser versuchten sie im Ausland die Einzeltat eines eigenbrötlerischen Mannes aus dem Volke zu verschleiern.

Trotz aller Misshandlungen bei den Verhören konnte Elser nichts anderes mitteilen als die Wahrheit: Die seit 1933 von ihm beobachtete Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft und seit Herbst 1938 die Gewissheit, dass ein Krieg unvermeidlich sei, wenn Hitler an der Macht blieb, hätten ihn zu seiner Tat bewogen: "Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Hierzu wurde ich von niemanden angeregt, auch wurde ich von niemandem in diesem Sinne beeinflusst."
Unter dem Eindruck der "Sudetenkrise" im Herbst 1938 war Elser zu der Einsicht gekommen, dass die deutsche Außenpolitik nicht bei der Erpressung der Tschechoslowakei (zur Abtretung der Sudetengebiete im "Münchener Abkommen" Ende September 1938) stehenbleiben, sondern "anderen Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stellen und sich andere Länder einverleiben" würde "und dass deshalb ein Krieg unvermeidlich ist". Georg Elser sah, was jeder, der wollte, damals ebenfalls erkennen konnte, dass Hitler einen Eroberungskrieg plante.
Elsers Gefühl für Anstand, Redlichkeit und Moral machte ihn zum Gegner des nationalsozialistischen Staates. Die Rettung vor dem drohenden Krieg erhoffte er durch den Tyrannenmord. Das war für den schwäbischen Handwerksgesellen die Lösung, die er einsam und allein beschlossen hatte und über die er mit seinem Gewissen lange zu Rate gegangen war: "Wenn ich gefragt werde, ob ich die von mir begangene Tat als Sünde im Sinne der protestantischen Lehre betrachte, so möchte ich sagen, im tieferen Sinne, nein! [...] Ich wollte ja auch durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern."
Ein Jahr lang wendete Georg Elser alle Energie auf die Vorbereitung des Attentats. Am 8. November 1938 war er nach München gefahren, um die alljährlichen Feierlichkeiten im Bürgerbräukeller zu beobachten. Er plante, im folgenden Jahr, während der Hitler-Rede eine Bombe direkt hinter dem Rednerpult zu zünden, sie sollte auch die Umgebung Hitlers treffen. In der Heidenheimer Fabrik, in der er arbeitete, stahl er nach und nach 250 Pressstücke Pulver. Im März 1939 kündigte er und nahm eine Hilfsarbeiterstellung in einem Steinbruch an, wo er Kenntnisse in Sprengtechnik erwerben und weiteren Sprengstoff organisieren konnte.
In der Freizeit beschäftigte er sich mit der Konstruktion seiner Höllenmaschine. Anfang August 1939 zog Elser nach München, mietete sich in einem möblierten Zimmer ein und verbrachte mindestens dreißig Nächte im Bürgerbräukeller, um die Bombe in die Säule einzubauen. Er aß immer im Bürgerbräu zu

Abend, verbarg sich dann in einer Abstellkammer bis zur Sperrstunde und arbeitete dann mehrere Stunden an der Aushöhlung der Säule und schließlich an der Installation von Sprengsatz und Zünder. Den entstehenden Bauschutt sammelte er in einem Sack und trug ihn am Tage in einem Handkoffer davon. Der Polizei fiel es nicht schwer, Elser als den Attentäter zu identifizieren. Indizien waren auch seine geschwollenen und vereiterten Knie: Die Gestapo wusste, dass die wochenlange Arbeit zur Vorbereitung des Sprengsatzes in der Säule kniend verrichtet worden war und bestimmt Spuren hinterlassen hatte. Nach Folter und vielfachen Verhören wurde er ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Wahrscheinlich sollte er dort bis Kriegsende in Haft bleiben, um dann in einem Schauprozess gegen den britischen Geheimdienst benutzt zu werden. Anfang 1945 wurde Elser ins KZ Dachau evakuiert und dort am 9. April 1945 auf Befehl aus Berlin ermordet.

Protest in der Rosenstraße

Im Herbst 1941 begannen die Deportationen der deutschen Juden in die Ghettos und Vernichtungslager in Osteuropa, nachdem sie in jahrelanger Verfolgung entrechtet, gedemütigt, ihres Eigentums und ihrer Wohnungen beraubt worden waren. Eine Gruppe von Juden war vorläufig ausgespart: Es waren die Menschen, die mit einem nichtjüdischen Partner in einer von den Nationalsozialisten so genannten "Mischehe" lebten. Viele Diskriminierungen galten auch für sie und ihre Partner; dazu kam die ständige Angst vor ihrer eigenen Deportation. Eine Ehescheidung oder der Tod des Gatten bedeutete für den jüdischen Teil das Todesurteil, denn sein Schutz dauerte nur, solange die Ehe bestand. Und niemand wusste, wie lange die Nationalsozialisten diesen Personenkreis noch unbehelligt lassen, wann sie ihn in das Programm der Vernichtung einbeziehen würden. Zur Zwangsarbeit waren sie ohnehin verpflichtet wie die anderen Juden auch.
Am 27. Februar 1943 sollten mit einem letzten Schlag alle noch im Deutschen Reich lebenden Juden "erfasst" und nach Auschwitz deportiert werden. Die Gestapo veranstaltete eine reichsweite Razzia. In Berlin traf die Aktion etwa 10 000 Juden, die in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit verrichteten. Sie wurden abgeholt und in Sammellager konzentriert. Unter ihnen waren auch etwa 1500, die in sogenannten "Mischehen" lebten. Sie wurden im Gebäude Rosenstraße 2-4 in Berlin festgehalten. Hier geschah etwas völlig Unerwartetes. Unter den nichtjüdischen Angehörigen, in der Mehrzahl waren es die Ehefrauen der inhaftierten Zwangsarbeiter, sprach sich die Aktion im Laufe des Tages herum. Immer mehr Frauen kamen in die Rosenstraße, schließlich waren es an die 200, entschlossen, um die Freiheit ihrer Männer zu kämpfen. Eine Woche lang demonstrierten die Frauen Tag und Nacht, ließen sich nicht durch Drohungen von SS und Polizei und auch nicht durch Maschinengewehre beirren. Sie riefen "Gebt uns unsere Männer heraus!", sie nannten die Nationalsozialisten lautstark "Mörder" und "Feiglinge" und sie wichen nicht, bis die Verhafteten am 6. März frei gelassen

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wurden. Der Protest war ein einmaliges und beispielloses Ereignis in der Geschichte des Dritten Reiches. Aus Solidarität mit ihren Nächsten hatten Angehörige der gefährdetsten und schwächsten Gruppe der Bevölkerung es gewagt, ihren Protest in den Formen öffentlichen Ungehorsams auszudrücken. Das war offener Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat. Wie Tagebucheintragungen des Reichsministers und Berliner NSDAP-Gauleiters Goebbels beweisen, hat der Mut der Frauen die Machthaber irritiert und nervös gemacht. Auch wenn man nicht genau weiß, welche langfristige Wirkung der Protest hatte - manches spricht dafür, dass die Menschen in der Rosenstraße nicht zur Deportation nach Auschwitz bestimmt waren -, so bildet das Ereignis im Frühjahr 1943 einen Beweis dafür, welch mutige Form von offenem Widerstand möglich war.

Der Widerstand traditioneller Eliten

Das Bürgertum, die durch Besitz, Bildung, Einfluss geprägte Schicht, stand dem NS-Staat, der an patriotische Gefühle appellierte und der die politische Linke vernichtete, lange Zeit mehrheitlich mit Sympathie, z. T. sogar mit Begeisterung, gegenüber. Eine Minderheit konservativ und liberal denkender Bürger war von Anfang an skeptisch, hatte sich aber in die "innere Emigration" zurückgezogen und zeigte Opposition nach außen allenfalls durch Verweigerung. Nur im Kreis Gleichgesinnter wurden politische Ereignisse und Lebensumstände kritisch kommentiert. Angesichts des augenscheinlichen Erfolgs der Nationalsozialisten hatte auch die Regimegegner eine Art Lähmung befallen.
Die allmählich wachsende moralische Empörung einzelner über die Korruption und die alltägliche Gewalt verdichtete sich ab 1938 - dem Jahr des Pogroms gegen die Juden und der Sudetenkrise - zum politischen Widerstand. Unter hohen Militärs, im bayerischen Adel, unter Beamten und Diplomaten, in ganz verschiedenen Kreisen der traditionellen Eliten, die von den Nationalsozialisten entmachtet worden waren oder die nach anfänglicher Gefolgschaft zur Einsicht in die wahre Natur des Regimes kamen, entstand Unruhe: Zum einen über die Radikalisierung der nationalsozialistischen Politik, insbesondere gegenüber den Juden, und zum anderen wegen der expansionistischen Außenpolitik Hitlers, die offenkundig auf Krieg angelegt war. Wachsende Kritik am Dilettantismus der NS-Politik bildete einen weiteren Anlass, über eine Neuordnung nach dem erhofften Ende der NS-Herrschaft nachzudenken. Der Krieg machte diese Notwendigkeit noch deutlicher. In mehreren Widerstandskreisen, die durch persönliche Beziehungen einzelner Mitglieder meist auch voneinander wussten, sich gegenseitig informierten und auch mit dem militärischen Widerstand Kontakt aufnahmen, wurde für die Zeit nach Hitler oder ganz konkret sein Sturz geplant.

Der Kreisauer Kreis

In Kreisau in Niederschlesien, auf dem Gut des Grafen Moltke, trafen sich Pfingsten 1942 einige Männer und Frauen. Es waren die Tage vom 22. bis 25. Mai, die von dem Freundeskreis genutzt wurden, über Themen zu diskutieren, die vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche über Erziehung bis zu Hochschulreform und Lehrerbildung reichten. Es war eine Diskussion über allgemeine und abstrakte Probleme, deren Ergebnisse schriftlich fixiert wurden.

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So wäre das Treffen in Kreisau zu charakterisieren, wenn es in normalen Zeiten stattgefunden hätte. Für den nationalsozialistischen Staat aber war es Hochverrat.

Ihre führenden Köpfe waren Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg. Moltke hatte Jura studiert, war mit der angelsächsischen Welt vertraut. Politisch liberal und von tiefer christlicher Überzeugung, verachtete er die Nationalsozialisten und verzichtete nach seinem Assessorexamen 1933 auf die erstrebte Karriere als Richter. Er ließ sich als Rechtsanwalt in Berlin nieder. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Moltke Referent für Völkerrecht in der Auslandsabwehr des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW). Peter Graf Yorck von Wartenburg war ebenfalls Träger eines berühmten preußischen Namens. Auch er war Jurist, hatte es im Staatsdienst zum Oberregierungsrat gebracht, war ab 1942 im Wehrwirtschaftsamt des OKW tätig.
Schon vor dem Krieg hatten beide Gesprächskreise von Regimegegnern um sich geschart. Ab 1940 trafen sich in Kreisau, aber auch in Berlin und München in wechselnder Zusammensetzung etwa 20 Personen, die in der Opposition gegen den Nationalsozialismus übereinstimmten, denen (mit ungefähr noch einmal so vielen Sympathisanten) Weltläufigkeit, soziale Verantwortung und christliches Engagement gemeinsam war.
Zu den Gleichgesinnten, wenn auch von ganz anderem Herkommen, gehörte Eugen Gerstenmaier, ein aus schwäbischem Kleinbürgertum stammender evangelischer Theologe, der im Krieg zu der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes dienstverpflichtet worden war. Adam von Trott zu Solz, Jurist im Auswärtigen Amt, kosmopolitischer Patriot mit Verbindungen ins Ausland, gehörte zu den Kreisauern ebenso wie der Oberpräsident der preußischen Provinz Oberschlesien Hans Lukaschek, den die Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt hatten und Theodor Steltzer, der bis 1933 Landrat in Rendsburg gewesen war. Der Kreisauer Kreis bestand aus Männern, die aus ganz unterschiedlichen sozialen, ideologischen und politischen Bereichen kamen. Alfred Delp und Augustin Rösch waren Jesuitenpatres, Adolf Reichwein war Pädagoge und Sozialdemokrat, Hans Peters Professor für Verwaltungsrecht, engagierter Katholik und Demokrat, Harald Poelchau war evangelischer Geistlicher und religiöser Sozialist, Theo Haubach, Julius Leber und Carlo Mierendorff hatten sich als sozialdemokratische Politiker profiliert und dafür im KZ gelitten. Viele Mitglieder des Kreises waren von der Jugendbewegung geprägt, soziales Engagement einte sie alle.

Forderung für Erneuerung

Die "Grundsätzliche Erklärung", die sie im Mai 1942 formulierten, rechnet man zu den Schlüsseldokumenten des Widerstandes gegen Hitler. Zum Ausdruck kommt darin die Absicht, eine Neuordnung und Neuorientierung von Staat und Gesellschaft nach der Überwindung des Nationalsozialismus zu gestalten. "Wir sehen im Christentum wertvollste Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes, für

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die Überwindung von Hass und Lüge, für den Neuaufbau des Abendlandes, für das friedliche Zusammenarbeiten der Völker." In drei größeren Treffen diskutierte der Kreisauer Kreis die Grundlagen einer humanen und sozialen Ordnung des Zusammenlebens im nationalen und europäischen Rahmen, die 1943 in den "Grundsätzen für die Neuordnung" endgültig formuliert wurden. Sieben unverzichtbare Forderungen sollten das Fundament der inneren Erneuerung und eines gerechten und dauerhaften Friedens bilden. Die Wiederherstellung des Rechtsstaats, die Garantie von Glaubens- und Gewissensfreiheit, das Recht auf Arbeit und Eigentum standen obenan. Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit sollten wieder an die Stelle des Prinzips von Befehl und Gehorsam treten. Statt Diktatur und Unterwerfung sollten politische Verantwortung und Mitwirkung jedes einzelnen, die Mitbestimmung im Betrieb und in der Wirtschaft einschloss, die Prinzipien staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung bilden. Wichtig war den Kreisauern aber auch die Überwindung des Nationalismus. Die Gründung einer Völkergemeinschaft im Geiste internationaler Toleranz lag ihnen mehr am Herzen als die Bewahrung einzelstaatlicher Souveränitätsrechte.

Die "Grundsätze für die Neuordnung" waren ein Programm für den Neuaufbau nach der NS-Diktatur, in dessen Mittelpunkt Arbeiterschaft und Kirchen stehen sollten. Die Grundsätze boten auch eine interessante Variante zum Wahlrecht: jedes Familienoberhaupt sollte für jedes nicht wahlberechtigte Kind eine zusätzliche Stimme erhalten. Politische Beamte und Waffenträger sollten für den Reichstag, dessen indirekte Wahl durch die Landtage vorgesehen war, nicht wählbar sein. Das Wirtschaftsprogramm war von den Leitmotiven staatlicher Wirtschaftsführung, Sozialisierung der Schlüsselindustrien und vom Gedanken der Mitbestimmung beherrscht. Gegen die nationalsozialistische, auf Zwang, Unterwerfung und Irrationalität beruhende Herrschaft setzten die Kreisauer eine Gesellschafts- und Staatsordnung, die sich auf Humanität, christliche Ethik, Gerechtigkeit und Überwindung von Klassenschranken gründen sollte. Ziel des Kreisauer Kreises war die Wiederherstellung eines humanen Rechtsstaats, der nach der Bestrafung der nationalsozialistischen Verbrecher mit einer demokratischen Verfassung neu aufgebaut werden sollte. Zur Vorbereitung eines gewaltsamen Umsturzes oder zum Attentat auf Hitler fühlten sich die Kreisauer nicht berufen. Sie hofften auf eine Art Arbeitsteilung, bei der sie die Reformpläne ausarbeiten wollten, damit sie zur Verfügung stünden, wenn die Zeit dafür gekommen war. Den Weg sollte die Militäropposition frei machen, zu der man Verbindungen unterhielt.
Graf von Moltke wurde vor allem durch die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden, den Kriegsgefangenen und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zum Widerstand getrieben. Er wollte zwar die Nationalsozialisten ablösen, den Machtstaat und das Rassendenken überwinden, den Gedanken an eine gewaltsame Beseitigung Hitlers lehnte er jedoch lange Zeit ab. Er hatte jedoch nicht nur moralische Bedenken gegen

den Tyrannenmord. Wie viele andere Gegner des Nationalsozialismus fürchteten auch die Kreisauer, der gewaltsame Sturz des Regimes im Kriege könnte zu Legenden führen. Denn nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatten diejenigen, die sich mit der Niederlage Deutschlands nicht abfinden konnten, die "Dolchstoßlegende" in die Welt gesetzt: Verrat habe den Krieg entschieden, das tapfere und siegreiche deutsche Heer sei von hinten, also aus der Heimat, erdolcht worden. Mit einer ähnlichen Hypothek, zu der ein Attentat auf Hitler den Anlass geboten hätte, wollten die Kreisauer die Neuordnung von Staat und Gesellschaft nicht belasten.

Im Januar 1944 wurde Graf von Moltke durch die Gestapo verhaftet, weil er einen Kollegen vor der drohenden Festnahme gewarnt hatte. Der Kreisauer Kreis war ohne Moltke als geistigen Mittelpunkt am Ende. Die aktivsten Mitglieder schlossen sich der Widerstandsgruppe um Goerdeler an und beteiligten sich am Attentat des 20. Juli 1944.

Politische Bildung
Widerstandsgruppen
Typisch für die Formierung von Regimekritik unter gebildeten Bürgern, die zum Widerstand gegen das NS-Regime wurde, waren die Teegesellschaften...

Mitte August 1944 stieß die Gestapo beim Verhör der vielen Mitwisser des 20. Juli auch auf den Kreisauer Kreis. Nach Misshandlung und Folter standen die führenden Mitglieder vor dem Volksgerichtshof. Um möglichst viele Freunde aus dem Kreisauer Kreis zu schützen, verteidigte sich Moltke mit der Strategie, man habe keinen Umsturz geplant, keine organisatorischen Schritte getan, mit niemandem über Ämter und Funktionen in einer Regierung nach Hitler gesprochen. Man habe nur theoretische Erörterungen angestellt. Im Grunde seien auch nur der Jesuitenpater Delp, der Theologe Gerstenmaier und von Moltke beteiligt gewesen, allenfalls noch Peter Graf Yorck von Wartenburg und Adam von Trott zu Solz.
Eugen Gerstenmaier ordnete später den Kreisauer Kreis folgendermaßen in den Gesamtzusammenhang des Widerstandes ein: "Geschichtliche Wahrheit ist, dass auch die Kreisauer für den Sturz Hitlers gearbeitet haben, indem sie sich energisch darum mühten, dass Deutschland nach der Vernichtung Hitlers bestehen könne. Sie waren der Meinung, je genauer und weitblickender die Vorbereitung dafür sei, desto mehr Chancen habe der Tag X und desto eher werde der Sturz Hitlers und seines Systems herbeizuführen sein."
Am 11. Januar 1945 wurde Helmuth James von Moltke zum Tode verurteilt. Am 23. Januar 1945, drei Monate vor dem Zusammenbruch des Hitlerstaates, wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Nur wenige aus dem Zentrum des Kreisauer Kreises entgingen den Henkern des NS-Regimes. Einige spielten beim

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demokratischen Neubau Deutschlands nach Hitler eine Rolle. Eugen Gerstenmaier war von 1954 bis 1969 Präsident des Deutschen Bundestages, Theodor Steltzer in der ersten Nachkriegszeit Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Hans Lukaschek war unter Adenauer Bundesvertriebenenminister. Das Vermächtnis der Kreisauer blieb die in ihren Dokumenten und Briefen niedergelegte Idee einer humanen und sozialen Gesellschaft nach Hitler.

Der Goerdeler-Kreis

Carl Goerdeler, 1884 geboren, entstammte einer traditionsreichen preußischen Beamtenfamilie. Nach dem Studium der Rechte trat er in den Kommunaldienst und wurde 1930 Oberbürgermeister von Leipzig. Sein Ruf als hervorragender Verwaltungs-
fachmann und Organisator drang weit über Leipzig hinaus, mehrmals war er als Kandidat für das Amt des Reichskanzlers im Gespräch.

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Carl Friedrich Goerdeler

Im Dezember 1931 wurde er zum Reichspreiskommissar berufen. Anders als bei seinem Kollegen Konrad Adenauer, dessen Amtszeit als Kölner Oberbürgermeister mit dem nationalsozialistischen Machtbeginn jäh endete, musste Goerdeler als national-konservativ gesinnter Politiker den Leipziger Oberbürgermeisterstuhl nicht verlassen. Im Januar 1934 wurde er auch wieder zum Preiskommissar ernannt, obwohl er keine Zugeständnisse an die neue Reichsregierung gemacht hatte und auch nicht der NSDAP beigetreten war.
Goerdeler geriet jedoch bald in Gegensatz zur nationalsozialistischen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Er missbilligte die unseriöse Kreditschöpfung des Wirtschaftsministers Hjalmar Schacht, mit der die Aufrüstung finanziert wurde, und er kritisierte die antijüdische Politik des Dritten Reiches wegen ihrer negativen Wirkungen für das deutsche Ansehen im Ausland. In zwei Gutachten (1935 und 1936) zur Finanzlage, die Hitler bei Goerdeler in Auftrag gegeben hatte, verhehlte er diese Überzeugung nicht. Aus der kritischen Einstellung des Leipziger Oberbürgermeisters wurde offener Protest, als die Nationalsozialisten im November 1936 die Entfernung des Denkmals für den Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig erzwangen, weil er Jude gewesen war. Am 1. April 1937 trat er, 52jährig, zurück.
Goerdelers oppositionelle Einstellung war aber noch keine Widerstandshaltung, die auf die Beseitigung der Hitlerregierung zielte. Mit manchen außen- und wehrpolitischen Bestrebungen des NS-Regimes stimmte Goerdeler - wie viele Konservative - überein. Auch wenn sie die Methoden der

Nationalsozialisten missbilligten, so gehörten die Überwindung des Versailler Vertrages und die Hoffnung auf die Wiederherstellung der Reichsgrenzen von 1914 zu den gemeinsamen Zielen. Vom Stuttgarter Industriellen Robert Bosch mit einem Beratervertrag ausgestattet, unternahm Goerdeler mit Wissen und Zustimmung von Hermann Göring (der als "Beauftragter für den Vierjahresplan" eine zentrale Rolle in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik spielte) in den Jahren nach seinem Rücktritt ausgedehnte "Geschäftsreisen" auch ins Ausland. Als deren Folge warnte er wiederholt Göring vor einer Unterschätzung Frankreichs und Großbritanniens durch die deutsche außenpolitische Führung. Gleichzeitig machte er auf den negativen Eindruck der nationalsozialistischen Kirchenpolitik und der Judenverfolgung auf das Ausland aufmerksam. Ein anderer Zweck der Reisen bestand darin, Sympathien und Verständnis für oppositionelle Haltungen gegenüber der Reichsregierung zu wecken und zu fördern.

Treffpunkt von Kritikern und Gegnern der Nationalsozialisten wurde die Berliner Mittwochsgesellschaft, ein traditionsreicher Zirkel von liberalen und konservativen Persönlichkeiten der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens, der seit 1863 jeden zweiten Mittwoch zur "wissenschaftlichen Unterhaltung" zusammenkam. Hier fand Goerdeler gedankliche Übereinstimmung in der Kritik an Hitler mit dem Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, mit dem deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, dem preußischen Finanzminister Johannes Popitz, dem Wirtschaftswissenschaftler Jens Jessen und anderen. Einig waren sich diese Männer darin, dass der Krieg, den Hitler offen anstrebte, verhängnisvoll für Deutschland sein würde. Generaloberst Ludwig Beck versuchte bis zum Sommer 1938 mit Denkschriften und Vorträgen über das Risiko eines Krieges für Deutschland auf Hitler einzuwirken. Als er erkannte, wie wenig Rückhalt er unter hohen Offizieren mit seinen Warnungen fand, bat er am 18. August 1938 um seinen Abschied.

Überparteiliche Gruppierung

Mit seinen weitreichenden Verbindungen zu Oppositionellen in ganz Deutschland wurde Goerdeler Mittelpunkt eines Widerstandskreises, der sich in verschiedenen Richtungen erweiterte und über Ludwig Beck eng mit der Militäropposition verbunden war. Nach Kriegsbeginn im Herbst 1939 fanden Gewerkschafter wie Jakob Kaiser (1949-1957 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen) und der Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner (er war bis 1933 hessischer Innenminister) zum Goerdeler-Kreis. Die Industriellen Robert Bosch und Paul Reusch sympathisierten mit den Plänen des Goerdeler-Kreises, das Netz der Gleichgesinnten - überwiegend Männer des konservativen und nationalliberalen Bürgertums und christliche Politiker - dehnte sich aus. Die Aktivitäten des Goerdeler-Kreises gingen in zwei Richtungen. Zum einen drängte Goerdeler, inzwischen zum unerbittlichen

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Gegner des NS-Regimes geworden, zum Staatsstreich, zum Sturz Hitlers durch das Militär, um die Ausweitung des Krieges zu verhindern. Zum anderen arbeitete er an Entwürfen für eine Staats- und Gesellschaftsordnung, deren Grundlage Rechtsstaatlichkeit, Moral, bürgerlicher Anstand und die christliche Weltanschauung sein sollten. Die Vorstellungen des Goerdeler-Kreises waren stärker von autoritären Zügen geprägt als von demokratischen, ganz unübersehbar waren nationalkonservative Sehnsüchte, die sich an dem von Bismarck geprägten Deutschen Kaiserreich orientierten.
Die von Carl Goerdeler Ende 1941 verfasste und von Ludwig Beck mitverantwortete Denkschrift "Das Ziel" ist neben den "Grundsätzen für die Neuordnung" aus dem Kreisauer Kreis der wichtigste Verfassungsentwurf des Widerstandes. Aus der Entstehungszeit (es war die Zeit der größten militärischen Erfolge Hitlers) erklärte sich die Annahme, das Deutsche Reich werde in seinen territorialen Grenzen von 1938 (unter Einschluss Österreichs, des Elsass, des Sudetenlands und polnischer Gebiete) fortbestehen können.
Die politische Haltung des Goerdeler-Kreises zeigte sich in dieser Denkschrift am besten. Bezeichnend sind die Aussagen zum Wahlrecht, zum Reichsaufbau von unten nach oben, zum Selbstverwaltungsgedanken und zur beherrschenden Stellung des Reichskanzlers. Die Volksvertretung erscheint unter den verfassungsmäßigen Institutionen an letzter Stelle, quasi als Anhängsel der Reichsregierung. Dem indirekt gewählten Reichstag sollte ein nichtgewähltes Reichsständehaus (aus Vertretern von Berufsgruppen, Hochschulen und vom "Staatsführer" Berufenen) gleichberechtigt zur Seite stehen. Bei der Aufzählung der notwendigen Minister erscheint der Wehrminister an erster Stelle. Ein Arbeitsminister wurde bewusst abgelehnt, weil sich alle Ministerien in gleicher Weise für diesen wichtigsten Bereich sozialen Lebens engagieren sollten. ("Die Einrichtung eines besonderen Arbeitsministeriums vermindert die entscheidende Verantwortung, die jeder Minister als erste gerade auf dem Gebiet der Arbeit hat.")
Patriarchalische Züge mischen sich in der Konzeption Goerdelers und Becks mit moralisch-aufklärerischen Forderungen. Verantwortungsgefühl und das "Vertrauen anständiger Männer untereinander" waren den Verfassern der Denkschrift wichtigere Werte als demokratische Mitwirkungskategorien. "Der diktatorische oder tyrannische Führerstaat" schien ihnen "ebenso unmöglich wie der entfesselte überdemokratische Parlamentarismus". Als Staatsspitze wurden Möglichkeiten wie Erbkaiser, Wahlkaiser oder auf Zeit gewählter "Reichsführer" erwogen, mit einer deutlichen Vorliebe für die Erbmonarchie.

Zeichen des Widerstandes

Im Winter 1941/42 konkretisierten sich die Pläne dahin, dass nach dem gewaltsamen Sturz Hitlers zunächst ein Direktorium die

Regierungsgewalt ausüben sollte: Generaloberst Beck als Staatsoberhaupt ("Reichsführer"), Goerdeler als Reichskanzler und Generalfeldmarschall von Witzleben als Oberbefehlshaber des Heeres. Ministerlisten wurden ausgearbeitet, die später der Gestapo in die Hände fielen, mit tödlichen Folgen für viele. Ein Regierungsprogramm entstand im Sommer 1944 in der Erwartung des bevorstehenden Staatsstreichs. Dazu bedurfte es langer Verhandlungen und immer neuen Einwirkens auf die Militäropposition. 1942 versuchte Goerdeler, einen hochrangigen Truppenbefehlshaber zu gewinnen. Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben kam nicht mehr in Frage, als er im Februar 1942 von Hitler als Oberbefehlshaber West abgelöst wurde. Im Spätherbst 1942 versuchte Goerdeler vergeblich, den Chef der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront, den Generalfeldmarschall Kluge, zu gewinnen. Weil sich die populären Frontkämpfer versagten, blieben nur die Offiziere in Positionen des Ersatzheeres, vor allem in Berliner Dienststellen, die den Staatsstreich militärisch durchsetzen konnten. Wichtigster Ansprechpartner war General Friedrich Olbricht, der Chef des Allgemeinen Heeresamtes. Je mehr Zeit verstrich und je mehr Attentatspläne der Militäropposition misslangen, je schlechter die militärische Lage für Deutschland wurde, desto deutlicher wurde, dass der Staatsstreich nicht mehr der politischen Erneuerung, sondern nur noch der Beendigung des Krieges dienen konnte. Er hatte zudem das Ziel, der Welt ein Zeichen zu geben, dass es Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben hatte. Die Regierung Goerdeler/Beck, die nach der Beseitigung Hitlers amtieren sollte, hätte nicht viel mehr tun können, als einen Waffenstillstand ohne Bedingungen zu schließen.
Schon vor dem 20. Juli 1944, an dem das Attentat auf Hitler stattfand, geriet Goerdeler unter Verdacht der Gestapo und tauchte unter. Nach einer Denunziation wurde er entdeckt und am 12. August 1944 verhaftet. Am 8. September 1944 zum Tode verurteilt, wurde er nach vielen Verhören am 2. Februar 1945 im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet. Sein Schicksal teilten Johannes Popitz und der Großgrundbesitzer Ewald von Kleist-Schmenzin, Eugen Bolz, Ulrich von Hassell, der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Graf von der Schulenburg und viele andere.

Der militärische Widerstand

Die Reichswehr hatte die Machtübernahme Hitlers mehrheitlich begrüßt. Die Militärs hofften auf die Überwindung der Hemmnisse des Versailler Vertrags, auf Wiedereinführung der Wehrpflicht und bessere Karrierechancen durch die Vergrößerung der Streitkräfte. Viele begrüßten die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und standen der angekündigten autoritären Staatsordnung überwiegend erwartungsvoll gegenüber. Die Militärs hatten nichts dagegen, dass die Hitlerregierung die politische Linke ausschaltete, verfolgte und die NSDAP ein

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Einparteien-Regime errichtete. Die Reichswehr unterstützte die Mordaktion des 30. Juni 1934 ("Röhmputsch"), bei der die Spitze der SA liquidiert wurde, weil damit eine gefährliche und zugleich verachtete Konkurrenz ausgeschaltet wurde. Im August 1934 gab es auch keine Einwände seitens der militärischen Führung dagegen, dass Hitler nach dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg die Ämter des Reichskanzlers und des Staatsoberhaupts vereinigte und damit auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte wurde. Reichswehrminister von Blomberg führte sogar eine neue Eidesformel ein, mit der die Soldaten Hitler persönlich Treue gelobten.
Empörung über die Morde des 30. Juni 1934, denen auch zwei ehemalige Generale (unter ihnen Kurt von Schleicher, Hitlers Vorgänger als Reichskanzler) zum Opfer fielen, war Sache weniger Offiziere.

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Kurt von Schleicher

Zu ihnen gehörte der damalige Major Hans Oster von der Abwehrabteilung des Reichswehrministeriums. Er und einige Gleichgesinnte missbilligten die Zerstörung des Rechtsstaates und verabscheuten die Methoden des NS-Regimes, dessen Antisemitismus und Kirchenfeindschaft. Aber Opposition im Militär regte sich erst um die Jahreswende 1937/38, als manche Offiziere die Gefahren der aggressiven Außenpolitik Hitlers zu erkennen begannen. Zu ihnen gehörte auch der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, der Hitlers Annexionsabsichten gegen die Tschechoslowakei und Österreich kritisch gegenüberstand. Eine Intrige, die von der SS angezettelt war, um ihn und andere konservative Generale loszuwerden, drängte ihn Anfang 1938 aus dem Amt. Diese Intrige, die auch Kriegsminister von Blomberg zu Fall brachte, machte es Hitler möglich, die Spitze der militärischen Organisation so umzubauen, dass er nicht nur formell, sondern auch tatsächlich Oberbefehlshaber der Wehrmacht wurde. Die Armee war nunmehr praktisch gleichgeschaltet und nicht mehr in der Lage, Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozeß zu nehmen.
Hitler hatte im November 1937 den Wehrmachtsspitzen mitgeteilt, dass er Österreich und die Tschechoslowakei annektieren wolle, als erste Etappen zur Erweiterung des deutschen "Lebensraumes" durch Krieg. Der Chef des Generalstabs des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck, versuchte, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen. Nach der Annexion Österreichs im März 1938 hoffte Beck, erst mit Denkschriften den Gang der Dinge zu beeinflussen und suchte dann vergeblich die Generale zur Gehorsamsverweigerung zu bewegen. Im August 1938 trat er zurück.
Ähnlich wie Beck dachten andere hochrangige Offiziere, etwa der Leiter der militärischen Abwehr, Admiral Wilhelm Canaris, und dessen Stabschef Oster sowie Becks Nachfolger Franz Halder. Auch der Kommandierende General des III. Armeekorps, Erwin von Witzleben, gehörte zu den Militärs, die Überlegungen anstellten, wie man Hitler an der Fortsetzung seiner aggressiven Politik hindern könnte. Zwei Strömungen standen bei den zum Staatsstreich bereiten Offizieren einander gegenüber. Die eine, vertreten durch die Männer der Abwehr, zielte dahin, Hitler festzunehmen und zu töten; die andere beabsichtigte lediglich, den "Führer" zu zwingen, seine Kriegspläne aufzugeben. Zu letzteren gehörten der Generalstabschef des Heeres Halder und der Oberbefehlshaber Walther von Brauchitsch.

Der verschobene Putsch

Als Hitler im September 1938 die Tschechoslowakei durch Kriegsandrohung zur Abtretung des Sudetengebietes zu zwingen suchte, war der Kreis um Oberstleutnant Hans Oster zu einer gewaltsamen Aktion gegen die Reichskanzlei entschlossen. Hitler sollte getötet werden, um den Frieden zu retten. Absicht der oppositionellen Offiziere um Beck und den Goerdeler-Kreis war es hingegen, unmittelbar nach der Kriegserklärung, mit der Hitler die Zerstörung der Tschechoslowakei beginnen würde, ihn durch einen Staatsstreich zu stürzen. Diese Absicht war auch in London bekannt. Goerdeler hatte über einen Mittelsmann das Foreign Office ins Bild gesetzt. Der Gutsbesitzer Ewald von Kleist-Schmenzin war im August 1938 auf Wunsch Osters und mit Billigung Becks nach London gereist, wo er die Pläne sogar Winston Churchill vortragen konnte.

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Winston Churchill

Mit dem "Münchener Abkommen", das mit britischer und französischer Billigung zustande kam, in dem am 29./30. September 1938 Prag der Annexion der Sudetengebiete durch das Deutsche Reich zustimmen musste, entfielen die Voraussetzungen für den geplanten Putsch.

Die Militäropposition resignierte für längere Zeit und blieb auch nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 passiv. Skeptisch beurteilten die Führer der Wehrmacht den Ausgang des Krieges gegen Frankreich und Großbritannien, weil die Wehrmacht noch nicht hinlänglich gerüstet und ausgebildet sei. Die Missachtung der Neutralität Belgiens, Hollands und Luxemburgs missbilligten viele. Die Nachrichten von dem Schreckensregiment in Polen taten ein übriges, um das Offizierskorps an der Westfront gegen Hitler einzunehmen. Alle Vorbereitungen zu einem Staatsstreich wurden jedoch Anfang November 1939 von General Halder abgebrochen, weil er glaubte, Hitler sei über diese Aktivitäten informiert. Oster, einem der engagiertesten Regimegegner, blieb nichts anderes übrig als der Versuch, Holland, Dänemark und Norwegen vor dem deutschen Überfall zu warnen. Mit dem "Blitzkrieg" gegen Frankreich und der Besetzung großer Teile Westeuropas 1940 wuchs das Ansehen Hitlers noch einmal.

Die Begeisterung erfasste Soldaten und Zivilisten in gleicher Weise. Zustimmung fand auch noch der Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 und hielt mindestens bis zur Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 an. Die Mehrheit der Deutschen ließ sich von Hitlers Erfolgen blenden und glaubte allzulange daran, für eine gute Sache, für ein größeres und besseres Deutschland und gegen den Bolschewismus zu kämpfen. Viele hohe Militärs sahen, wie von Goebbels propagiert, den Überfall auf die Sowjetunion als berechtigten und notwendigen "Kreuzzug" gegen den Bolschewismus.

Kontakte zu zivilen Kreisen

Die Männer der Militäropposition hielten Distanz zum NS-Regime. Ludwig Beck stand schon vor seinem Rücktritt in Kontakt mit Goerdeler. Offiziere wie die Generale Halder, von Witzleben oder Georg Thomas hatten ebenfalls Verbindung zum zivilen Widerstandskreis um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister aufgenommen. Die engagiertesten Hitlergegner im militärischen Bereich waren immer noch die Männer im

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"Amt Ausland/Abwehr" des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) unter Admiral Canaris. Bis April 1943 war die Dienststelle ein Zentrum des Widerstandes mit engen Kontakten zum Kreisauer Kreis. Versuche, im Ausland für einen Frieden zu wirken (u. a. durch Kontakte zum Vatikan) und die Westoffensive im Frühjahr zum Scheitern zu bringen, blieben erfolglos. 1943 wurde nach der Verhaftung einiger Mitarbeiter (Dohnanyi, Bonhoeffer) und der Kaltstellung Osters das "Amt Abwehr" als Ort des Widerstandes lahmgelegt. Im Februar 1944 wurde auch Canaris abgelöst, etwas später unter Hausarrest gestellt, dann ins KZ eingeliefert und im April 1945 hingerichtet.
In drei wichtigen militärischen Dienststellen entstanden ab Ende 1941 oppositionelle Gruppen, die auch Verbindung untereinander aufnahmen: Im "Allgemeinen Heeresamt beim Befehlshaber des Ersatzheeres", geleitet von General Friedrich Olbricht, beim Militärbefehlshaber in Frankreich (General Carl-Heinrich von Stülpnagel) und an der Ostfront in der Heeresgruppe Mitte, dessen Erster Generalstabsoffizier Henning von Tresckow Mittelpunkt einer Gruppe von Regimegegnern war. Die Greuel der deutschen Besatzungspolitik im Osten und der Massenmord an den Juden durch die Einsatzgruppen der SS und ab Ende 1941 in den Vernichtungslagern blieben den Soldaten der Wehrmacht nicht verborgen. Offiziere, die Rechtsempfinden und Moral über soldatisch-militärische Pflichterfüllung stellten, waren in der Minderheit; aber es gab sie, wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der nach schwerer Verwundung in Afrika 1944 Chef des Stabes beim Oberbefehlshaber des Ersatzheeres in Berlin wurde. Graf Stauffenberg drängte seit Frühjahr 1942 auf einen Staatsstreich, um Hitler auszuschalten und die Verbrechen des Regimes zu beenden.

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Claus Schenk Graf
von Stauffenberg

Es war schwer, einen populären Frontgeneral zu finden, der sich an die Spitze der Erhebung stellen würde. Unterdessen scheiterten auf geradezu groteske Weise alle Attentatsversuche gegen Hitler. Nachdem schon etliche Pläne fehlgeschlagen waren, sollte Hitler bei einem Besuch der Heeresgruppe Mitte in Smolensk erschossen werden. Aus Rücksicht auf unbeteiligte Offiziere unterblieb der Anschlag jedoch; Oberst Tresckow ließ dann im Flugzeug Hitlers eine Bombe verstecken, die ihn auf dem Rückflug in die Luft sprengen sollte. Aber der Zünder versagte.
Im März 1944 schmuggelte der Abwehroffizier Oberst Rudolf-Christoph von Gersdorff eine Bombe ins Berliner Zeughaus, wo Hitler erbeutetes Kriegsmaterial besichtigen wollte, aber - wie beim Bürgerbräuattentat Georg Elsers 1939 - verließ Hitler die Ausstellung unerwartet früh. Zwei junge Offiziere, Axel von dem Bussche und Ewald von Kleist, wollten Anfang 1944 anlässlich der Vorführung neuer Uniformen Hitler beseitigen. Da er nicht erschien, war auch dieser Plan gescheitert. Auch die Absicht des Rittmeisters Breitenbuch, als Ordonnanzoffizier des Generalfeldmarschalls Busch Zu- gang zu Hitler zu finden und ihn bei einer Besprechung am 11. März 1944 zu erschießen, schlug fehl, weil die SS-Wachen den Ordonnanzen den Zutritt verweigerten.
Im Sommer 1944 war die militärische Lage längst aussichtslos. In der Normandie waren

die Alliierten gelandet, die Ostfront war in der Mitte zusammengebrochen, die deutsche Niederlage war nur noch eine Frage der Zeit. Die oppositionellen Offiziere standen vor der Frage, ob ein gewaltsamer Umsturz noch Sinn habe, da absehbar war, dass die Geschicke der Deutschen nach Kriegsende von den Siegern bestimmt würden.

20. Juli 1944

Oberst von Stauffenberg, der entschlossen war, das Attentat auf Hitler unter allen Umständen zu begehen, um wenigstens ein moralisches Zeichen zu setzen, wurde dazu auch ermuntert von Generalmajor Henning von Tresckow, der die Meinung vertrat, es komme gar nicht mehr auf einen praktischen Zweck an, "sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat". Der Umsturz war längst vorbereitet. Der Entwurf einer Regierungserklärung, die von Beck als provisorischem Oberhaupt und Goerdeler als Kanzler unterzeichnet werden sollte, war bereits ausgearbeitet. Sie sollte gleich nach dem gewaltsamen Sturz des Hitler-Regimes veröffentlicht werden. Um das Land unter Kontrolle zu bekommen, entwarfen General Olbricht mit Stauffenberg und dessen Freund Mertz von Quirnheim den Operationsplan "Walküre". Er basierte auf einem bereits vorhandenen Plan zur Niederwerfung eines etwaigen Aufstandes ausländischer Zwangsarbeiter. Ein Netz aus vertrauenswürdigen Offizieren in den wichtigen militärischen Schaltstellen wurde geknüpft.
Das Attentat auf Hitler wurde dreimal verschoben, weil Himmler und Göring bei den Lagebesprechungen auf dem Berghof bei Berchtesgaden am 6., 11. und 15. Juli nicht anwesend waren; sie sollten als gefährlichste und wichtigste Gefolgsleute Hitlers und als Inhaber der höchsten Ämter im Staat zusammen mit Hitler beseitigt werden.
Obwohl sie auch am 20. Juli nicht dabei waren, zögerten Stauffenberg und sein Adjutant Oberleutnant Werner von Haeften nicht länger. Sie waren frühmorgens vom Flugplatz Rangsdorf bei Berlin zum Führerhauptquartier "Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen geflogen. Kurz vor 12.30 Uhr setzte Stauffenberg den Zeitzünder der Bombe in Gang und begab sich zu der Baracke, in der Hitler die Lagebesprechung abhielt. Stauffenberg stellte seine Aktentasche mit der Bombe in der Nähe Hitlers ab und verließ unter einem Vorwand den Raum. Gegen 12.45 Uhr explodierte die Bombe, fünf der vierundzwanzig Anwesenden wurden getötet. Hitler wurde nur leicht verletzt. Stauffenberg, der die Detonation beobachtet hatte, war überzeugt vom Erfolg des Attentats und flog nach Berlin zurück. Dort hatten die Mitverschwörer in den Diensträumen des Oberkommandos des Heeres (OKH) in der Bendlerstraße stundenlang gewartet, ehe sie den Alarm nach dem Plan "Walküre" auslösten, um die Wehrkreise zu verständigen. Generaloberst Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres, war nicht zu bewegen, sich auf die Seite des Widerstandes zu stellen. Stauffenberg verhaftete ihn. An seine Stelle trat Generaloberst Hoepner, den Hitler 1942 entlassen hatte. Das Zögern der Wehrkreisbefehlshaber, sich den Verschwörern anzuschließen, und die schnelle Rundfunkmeldung von Hitlers Überleben ließen den Staatsstreich scheitern.
In Prag, Paris und Wien waren die Gesinnungsgenossen der Verschwörer für kurze Zeit erfolgreicher. Sie waren Herren der Lage und setzten SS-Führer fest. In Berlin brach der Widerstand [Zentrum waren die Diensträume des Oberkommandos der Wehrmacht (OKH) im Bendlerblock] noch am

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Abend des 20. Juli zusammen. Kurz vor Mitternacht verhaftete Generaloberst Fromm, den hitlertreue Offiziere inzwischen wieder befreit hatten, die Spitzen des Widerstandes. Den Generälen Beck und Hoepner gab er die Möglichkeit zum Freitod (Hoepner lehnte ab), Olbricht, Stauffenberg, Mertz von Quirnheim und von Haeften wurden nach Mitternacht im Hof des OKH-Gebäudes erschossen.
Die Gestapo nahm in den folgenden Tagen in einer großen Verhaftungsaktion Tausende von Regimegegnern fest, Anfang August begannen die Prozesse vor dem "Volksgerichtshof". Sie dauerten bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes im Mai 1945. Die genaue Zahl der Verurteilten ist nicht bekannt, Hunderte wurden Opfer der Rache Hitlers, sie sind auf grausame Weise hingerichtet worden. Viele ihrer Angehörigen, die nichts mit dem Umsturzversuch zu tun hatten, wurden in "Sippenhaft" genommen und kamen ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager.

Literatur
Anneliese Knoop-Graf/Inge Jens (Hrsg.)-
"Willi Graf - Briefe und Aufzeichnungen"

Diese Briefe und Aufzeichnungen stehen neben denen von Hans und Sophie Scholl als eines der großen Zeugnisse der Weißen Rose.