Deutsche Geschichten
Widerstand
Widerstand
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in der Gegnerschaft zum Hitlerstaat trafen. Adolf Reichwein war Mitgründer des Kreisauer Kreises, er stand dem Grafen Stauffenberg und damit den Verschwörern des 20. Juli nahe. Reichwein brachte auch Haubach und Mierendorff zu den Kreisauern. Haubach hatte Kontakt zum Goerdeler-Kreis, Julius Leber zur Militäropposition. Leber gehörte ab 1943/44 auch zum Kreisauer Kreis, war mit Stauffenberg befreundet und hatte ab Sommer 1944 Verbindung zu Kommunisten, nämlich zur Saefkow-Gruppe. Die Verhaftung von Reichwein und Leber Anfang Juli 1944 machte Hoffnungen des Widerstandes zunichte. Das gescheiterte Attentat am 20. Juli riss auch Haubach und Leuschner in den Abgrund. Im Herbst 1944 wurden die Sozialdemokraten Leuschner und Reichwein, im Januar 1945 Leber und Haubach hingerichtet. Mierendorff war bei einem Luftangriff umgekommen. Sie alle hätten wichtige Aufgaben in einer Regierung nach Hitler haben sollen, Leber als Reichsinnenminister, Leuschner als Vizekanzler oder Reichspräsident, Reichwein als Kulturminister. Weder die Mitgliedschaft in einer Organisation oder die Zugehörigkeit zu einer politischen und weltanschaulichen Gruppierung noch die Herkunft oder ausgeprägte politische Überzeugung waren die Voraussetzungen für Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Einsicht in staatlicherseits begangenes Unrecht, die Erkenntnis, dass das nationalsozialistische Regime die Grenzen staatlicher Befugnis überschritt, die Empörung über die diskriminierende Behandlung von Minderheiten und Randgruppen (Juden, Sinti und Roma ebenso Homosexuelle und Behinderte, später Zwangsarbeiter fremder Nationalität und Kriegsgefangene) führten ebenso wie Mitleid und Solidarität mit Verfolgten einzelne Menschen zu individueller Auflehnung.

Arno Lustiger -
"Wir werden nicht untergehen"

Die Auffassung der meisten Historiker, dass sich die Juden wie Lämmer zur Schlachtbank haben führen lassen, war für Arno Lustiger, der den Holocaust mit knapper Not überlebte, Ansporn für seine "notwendige Ergänzung der Geschichtsschreibung". Deshalb gehört seine publizistisches Hauptengagement seit den achtziger Jahren, dass das gängige Bild von der Geschichte der Juden Europas revolutionierte, der Aufarbeitung des jüdischen Widerstandes. Ihm ist es zu verdanken, dass in Deutschland - wie auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern - endlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist: die Juden haben unter nationalsozialistischer Terrorherrschaft sehr wohl und zwar in großem Ausmaß Widerstand geleistet.

Die Formen reichten von der Verweigerung bis zum offenen Protest, von der heimlichen Hilfe für Juden bis zum Attentat auf Hitler.
Das immer perfekter arbeitende System des Terrors zog enge Grenzen für regimegegnerische Aktivitäten. Andererseits gab es, wie die vielen Bekundigungen des Missfallens gegen den Boykott jüdischer Geschäfte 1933, gegen den Novemberpogrom 1938 oder gar der Protest in der Berliner Rosenstraße 1943 zeigen, Möglichkeiten, Opposition zu leisten, die mindestens die Wirkung hatte, die Machthaber zu beunruhigen. Die nachträgliche Frage ist müßig, was geschehen wäre, wenn mehr Menschen sich zum Protest erhoben hätten. Mit Zivilcourage, die auch vor hohem Risiko nicht versagte, beschlossen einzelne aus ganz unterschiedlichen Motiven und Anlässen etwas zu unternehmen, um der Diktatur Einhalt zu gebieten oder wenigstens deutlich Protest zu erheben. Am 1. April 1933, wenige Wochen nach ihrer Machtübernahme hatte die NSDAP

die Deutschen zum Boykott gegen jüdische Geschäfte, Ärzte, Anwälte aufgerufen. Vor Läden, Kanzleien und Praxen standen SA-Männer mit der Aufforderung "Kauft nicht bei Juden" und versuchten, Kunden, Patienten, Klienten am Betreten der Geschäfts- und Büroräume zu hindern. Die Aktion war kein Erfolg. Aus vielen Städten wurde berichtet, dass die Bevölkerung die Aufforderung missachtet habe, ja vielfach wurde ganz demonstrativ bei Juden gekauft, um die Missbilligung der Aktion auszudrücken.

Julius von Jans: Bußtagspredigt 1938

Je länger die NS-Herrschaft dauerte, desto schwieriger und seltener wurden solche Demonstrationen der Solidarität mit der unterdrückten jüdischen Minderheit und der Bekundung von Opposition gegen das Regime. Die Mehrheit der Deutschen ließ sich einschüchtern, viele äußerten ihre Abneigung nur noch heimlich, die meisten gewöhnten sich an den Unrechtsstaat, seine Diskriminierungen und Untaten.
Aber es gibt auch viele Beispiele von Widerstand einzelner Personen, die ihrem Gewissen folgten und nicht bereit waren, alles hinzunehmen. Drei Fälle öffentlichen Widerstandes. Aus individueller Verantwortung werden im folgenden beschrieben: die Bußtagspredigt eines evangelischen Pfarrers 1938, ein Attentatsversuch 1939 und der Frauenprotest 1943.

In der Nacht des 9. November 1938 hatte die NSDAP einen Pogrom gegen die deutschen Juden inszeniert. Angestachelt vom Reichspropagandaminister Goebbels, der das Attentat des 17jährigen polnischen Juden Herschel Grünspan gegen einen Beamten der deutschen Botschaft in Paris zum Anlass nahm, überfielen SA-Männer und NSDAP-Funktionäre Synagogen, Geschäfte und Wohnungen von Juden im ganzen Reich. Der Schaden durch Zerstörung, Plünderung und Brandstiftung war beträchtlich. Tausende Juden wurden gedemütigt und misshandelt, die Zahl der Ermordeten ging in die Hunderte. In den Tagen nach dieser Pogromnacht wurden rund 30000 deutsche Juden in Konzentrationslager gesperrt. Die Politik des NS-Staates gegen die Juden hatte eine neue Stufe erreicht: Der Diskriminierung, Isolierung und Entrechtung folgten jetzt die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzen und die Vertreibung aus Deutschland. Der inszenierte Pogrom vom 9. November 1938 stieß viele Deutsche ab. Selbst wenn sie keine Freunde der Juden waren, empörten sie sich über die Formen der Entrechtung der jüdischen Minderheit in Deutschland.

Walter H. Pehle (Hrsg.)-
"Der Judenpogrom 1938 - Von der "Reichskristallnacht" zum Völkermord"

"Damals glaubten wir, dass dies der Höhepunkt der Judenverfolgung sei. In Wahrheit war es das letzte Alarmsignal vor der Vernichtung." Von dieser dramatischen Fehleinschätzung handelt das vorliegende Buch. Aus dem Inhalt: Wolfgang Benz: Bericht über Pogrom / Trude Maurer: Die Ausweisung der >>Ostjuden<< als Vorwand / Uwe D. Adam: Wie spontan war der Pogrom? / Avraham Barkai: Die Ausplünderung der deutschen Juden / Jonny Moser: Die Entrechtung durch Gesetze, Erlasse u.ä. / Konrad Kwiet: Gehen oder bleiben? – die Existenzfrage / Wolf Zuelzer: Erinnerungen eines Ausgewanderten / Hermann Graml: Zur Genesis der >>Endlösung<< / Hans Mommsen: Was haben die Deutschen gewusst? / Abraham J. Peck: Erneut gefangen: Juden in DP-Lagern

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