Deutsche Geschichten
Weltweite Wirtschaftskrise
Weltweite Wirtschaftskrise
Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 

mäßig verteilt; so hinkte die Schwerindustrie beträchtlich hinter der Chemie- und Elektroindustrie hinterher. Von Ausnahmen, wie dem Zerfall des Stinnes-Imperiums nach dem Tode seines Begründers 1924) abgesehen, nahm die Wirtschaftskonzentration weiter zu. Bereits 1926 entfielen auf 16 Prozent der Aktiengesellschaften 66 Prozent des Aktienkapitals. Im Bergbau und in der Stahlindustrie waren über 90 Prozent der Unternehmen in Konzernen zusammengefasst. 1925 entstand der weltgrößte Chemiekonzern ("I. G. Farbenindustrie AG"), 1926 der größte europäische Montankonzern ("Vereinigte Stahlwerke"). Die Folge waren Monopolpreise für Rohstoffe und Halbfabrikate, die der verarbeitenden Industrie mindestens ebenso zu schaffen machten wie die Lohnforderungen der Gewerkschaften.

Bedingt durch die 1923 eingeführte staatliche Zwangsschlichtung als letzte Instanz bei Tarif-
konflikten, die der von 1920 bis 1928 amtie-
rende Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns

Sozialpolitik
Viele Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit wurden seit der Revolution von 1918/19 zwar nicht beseitigt, aber wesentlich stärker als früher sozialpolitisch abgemildert.

(Zentrum) gezielt zugunsten der Arbeitnehmer handhabte, wurden allgemein recht hohe Löhne gezahlt, die zweifellos zur Sicherung des sozialen Friedens beitrugen. Ob dabei die Wirtschaft durch ein im Vergleich zur Arbeits-
produktivität überhöhtes Lohnniveau überfor-
dert wurde (Knut Borchardt) oder ob sich die Lohnentwicklung durchaus im Rahmen der Produktivitätsentwicklung hielt (Carl-Ludwig Holtfrerich), ist unter Wirtschaftshistorikern umstritten.

·Bei den Industrieinvestitionen handelte es sich oft um wettbewerbsbedingte Rationalisierun-
gen in den Wachstumsindustrien, insbesondere um die Einführung der Fließbandarbeit nach dem Vorbild der Ford-Werke in den USA. Immer mehr Arbeiter - zunehmend auch kleinere und mittlere Angestellte - sahen dadurch ihren Arbeitsplatz gefährdet. Bereits 1925/26 führte eine erste "Rationalisierungs-
krise" vorübergehend zu mehr als zwei Millionen Arbeitslosen. Im Durchschnitt der Jahre 1924 bis 1929 lag die Zahl der Beschäfti-
gungslosen bei 1,4 Millionen (circa 6,5 Pro-
zent); sie befand sich mithin schon vor der Weltwirtschaftskrise auf einem hohen Niveau.

·Die Landwirtschaft arbeitete vielfach unren-
tabel und war nach ihrer inflationsbedingten Entschuldung bald wieder verschuldet. Das galt sowohl für die Kleinbauern in Mittel-, Südwest- und Süddeutschland als auch besonders für die ostelbischen Großagrarier. Seit 1927 geriet die Landwirtschaft infolge einer weltweiten Über-
produktion, die mit einem anhaltenden Verfall der Erzeugerpreise (besonders für Schweine und Roggen) einherging, in eine Dauerkrise.

·Ein erheblicher Teil des Wirtschaftsauf-

schwungs wurde mit den Auslandskrediten - vor allem aus den USA - finanziert, die im Gefolge des Dawes-Plans und angelockt von hohen Zinsen nach Europa flossen.

Außenpolitische Erfolge (Dawes-Plan)
Eine erste Entspannung in der Reparationsfrage brachte ein auf amerikanischen Druck unter der Leitung des US-Bankiers Charles Dawes entwickelter Plan..

Sie entwickelten sich zu einem Gefahrenherd: 1929 erreichte die deutsche Auslands-
verschuldung einen Gesamtumfang von 25 Milliarden RM; die kurzfristige Verschuldung betrug 12 Milliarden RM. Demgegenüber beliefen sich die deutschen Auslandsanlagen nur auf zehn Milliarden RM. Ein Abzug der kurzfristigen, von den deutschen Banken aber oft langfristig weitervergebenen Auslands-
kredite musste daher verheerende Folgen haben.

·Die expansive Kreditpolitik der Großbanken und ihre oft gefährlichen Spekulationen mit Wertpapieren waren nicht ausreichend durch Eigenkapital und liquide Mittel abgesichert, was damit zusammenhing, dass private Haushalte und Unternehmen nach der Inflationserfahrung von 1923 nur wenig Neigung zum Sparen bzw. zur Kapitalbildung verspürten.

·Die Zentralbank (Reichsbank) konnte nur mittels der Diskontpolitik (Verteuerung bzw. Verbilligung der Kredite, die sie den Privatban-
ken gewährte) auf das Wirtschaftsgeschehen einwirken. Dagegen verfügte sie noch nicht - wie heute die Bundesbank - über die Mindest-
reservenpolitik (Erhöhung bzw. Senkung der Geldschöpfung und Kreditgewährung der Geschäftsbanken) und die Offenmarktpolitik (An- und Verkauf von Wertpapieren zur Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage).

·Auch das Finanzgebaren der öffentlichen Hände gab Anlass zur Sorge. Von 1926 bis 1929 stiegen die jährlichen Ausgaben von Reich, Ländern und Gemeinden zusammen von 17,9 auf 24,3 Milliarden RM. Besonders die Kommunen achteten oft zu wenig auf die Finanzierbarkeit ihrer sozialpolitischen Investitionen; bis zu zwei Drittel ihrer "unproduktiven" Infrastrukturmaßnahmen (unter anderem Straßen, Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Schwimmbäder) finanzierten sie mit Hilfe der Auslandsanleihen. Daraus ergibt sich, dass die gesamtwirt-
schaftliche Situation in Deutschland schon vor der von außen hereinbrechenden Weltwirt-
schaftskrise problematisch war. Sie zeichnete sich durch eine erhebliche "hausgemachte" Krisenanfälligkeit aus; eine grundlegende wirtschaftliche Stabilisierung fand in den Jahren 1924 bis 1929 nicht statt.

Gesellschaft im Wandel

Nach den Einschnitten durch Kriegseinwir-
kungen und Gebietsverluste erhöhte sich die

Seite 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 

cine plus Bundeszentrale für politische Bildung
Weitere Links  Links  Lesezeichen  Lesezeichen setzen  Druckversion  Druckversion   Impressum   Hilfe