Deutsche Geschichten
Wirtschaftswunder
Wirtschaftswunder
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nicht zu verwirklichen. Die Bundesregierung trug dieser Einsicht Rechnung, indem sie den entsprechenden Organisationen beitrat: 1951 dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), 1952 dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Das GATT verpflichtete seine Mitglieder dazu, alle Partnerländer handelspolitisch gleich zu behandeln (Meistbegünstigung); der IWF bemühte sich um eine stabile Währungsordnung und um ein multilaterales, handelsförderndes Zahlungssystem. In beiden Institutionen spielte die Bundesrepublik dank ihrer liberalen Handelspolitik und ihrer stabilen Währung eine wichtige Rolle.

Bedeutung des Wirtschaftswunders

Alles in allem war die Boom-Phase, die ja noch bis Anfang der siebziger Jahre dauerte, eine Zeit grundlegender Weichenstellungen. Die Soziale Marktwirtschaft entwickelte sich vor allem dank wachsenden Wohlstands zur allseits anerkannten Wirtschaftsordnung, ein auf Konsens angelegtes Modell der sozialpolitischen Interessenregulierung setzte sich durch, die De-Agrarisierung erhielt einen kräftigen Schub, die Verflechtung der westeuropäischen Volkswirtschaften erreichte eine neue Intensität. Das ”Wunder” hatte aber auch seine Schattenseiten - es verdeckte wirtschaftsstrukturelle Fehlentwicklungen, insbesondere die ”Überindustrialisierung”, und förderte das Anspruchsdenken. Zu übertriebenem Stolz bestand ohnehin kein Anlass: Der Boom war das Ergebnis gemeinsamer, zielstrebiger Aufbauarbeit, aber vor allem auch ausländischer Hilfe - und ”glücklicher” Umstände.

Wirtschaftliche Entwicklung und Lebenslage in der DDR

In den Fünfzigern wurde auch in der DDR ein sehr hohes Wirtschaftswachstum erzielt. Der Umfang des produzierten Nationaleinkommens wuchs von 1950 bis 1960 auf das 2,5fache, dabei waren besonders zu Beginn der fünfziger Jahre die Zuwachsraten beachtlich. Eine vergleichbare Wachstumsdynamik vermochte die DDR in den darauffolgenden Jahrzehnten ihrer Existenz nicht mehr zu erreichen. Ähnlich wie im Westen Deutschlands war das hohe Wirtschaftswachstum nach Kriegsende maßgeblich eine Folge der gründlichen Ausschöpfung der vorhandenen industriellen Substanz (Rekonstruktionspotential), aber bei einer verhältnismäßig geringen Investitionsfähigkeit. Die von der Industrie in der Zeit vor 1945 erbrachten Modernisierungsleistungen wurden zur Behebung von Kapazitätsengpässen und zur Ausbeutung der wirtschaftlichen Reserven genutzt. Der Wirkungsgrad von Techniken und Technologien aus der Zeit zwischen den beiden

Weltkriegen konnte vielfach noch einmal erheblich gesteigert werden. Größere Neuerungsprozesse (Innovationen) blieben in der Wiederaufbauphase weitgehend aus. Etwa ab Mitte der fünfziger Jahre zeigte sich, dass die Möglichkeiten der verstärkten Auslastung der vorhandenen Industriekapazitäten ausgereizt waren. Das Wachstumstempo begann nachzulassen.

Hinter dem hohen Wirtschaftswachstum steckte zugleich der Versuch der SED-Führung, eine schnelle Industrialisierung nach sowjetischem Vorbild umzusetzen. Damit war eine Umstrukturierung der Wirtschaft zugunsten der Metallurgie und des Schwermaschinenbaus verbunden. Die ohnehin knappen Investitionen und Ressourcen flossen damit primär in den Neuaufbau nicht vorhandener oder nicht ausreichend entwickelter Zweige der Grundstoffindustrie.

Diese Bevorzugung verschärfte die bestehenden wirtschaftlichen Probleme, die durch Kriegszerstörungen, Demontageverluste und Reparationslieferungen aus der laufenden Produktion entstanden waren. Zusätzlich bewirkte der Kalte Krieg eine Abschottung gegenüber dem westlichen Markt, die Einbindung in den vergleichsweise industriell rückständigen osteuropäischen Wirtschaftsraum und Arbeitskräfteverluste durch die Westabwanderungen. Die Zerstörung eines organisch gewachsenen Systems der wirtschaftlichen Arbeitsteilung durch die deutsche Teilung und durch Gebietsabtrennungen spitzte die Lage noch weiter zu. Insofern muss die wirtschaftliche Rückständigkeit der DDR gegenüber der Bundesrepublik aus einer ganzen Kette sich gegenseitig verstärkender Faktoren interpretiert werden.

Generell stand die DDR-Wirtschaft in den fünfziger Jahren vor der schwierigen Situation, gleichzeitig drei Aufgaben von gleicher Dringlichkeit lösen zu müssen:

die Erhöhung des privaten Verbrauchs; den Ausbau und die Modernisierung der Infrastrukturen; die Absicherung der Investitionen in allen Industriebranchen.

Jede Bevorzugung musste angesichts der geringen Spielräume zur Vernachlässigung anderer Ziele führen und in angespannter Lage krisenhafte Wirkungen hervorrufen. Die Überforderung war damit programmiert und ernsthafte Wachstumseinbrüche erschütterten die DDR-Wirtschaft 1952/53, 1956 und 1960/61. Die unmittelbaren Ursachen für die Einbrüche 1952/53 und 1960/61 hingen wesentlich mit den Versuchen der SED-Führung zusammen, die Errichtung der neuen

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