Deutsche Geschichten
2. Weltkrieg
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Nach einer Weisung Heydrichs vom 21. September sollten auch Juden mit einbezogen werden. Maßnahmen gegen die Juden, die in größeren Städten zusammenzufassen waren, sollten mit der Zivilverwaltung und der militärischen Führung abgestimmt werden. Die Handlungsmöglichkeiten der Wehrmachts-
führung, die sich noch um die Einhaltung der völkerrechtlichen Normen bemühte, wurden im Oktober 1939 immer weiter eingeschränkt, als Hitler die Eingliederung von knapp der Hälfte der von der deutschen Wehrmacht eroberten polnischen Gebiete ins Reich anordnete. Diesseits der neuen Grenze, die von der Ostgrenze Ostpreußens zur Ostgrenze Oberschlesiens verlief, sollte die einheimische polnische Bevölkerung ausgesiedelt und Deutsche angesiedelt werden. Das unter deutscher Herrschaft stehende Gebiet jenseits der Grenze erhielt nun den Namen „General-
gouvernement“. Die dort wohnenden bzw. dorthin vertriebenen Polen sollten ein „Helotendasein auf niedriger Kulturstu-
fe“ (Ludolf Herbst) führen. Für die Verfolgungs-, Vertreibungs- und Umsiedlungspolitik, die im nationalsozialistischen Sprachgebrauch als „völkische Flurbereinigung“ bezeichnet wurde, erhielt Himmler am 7. Oktober umfassende Vollmachten, als ihm in einem geheimen „Führerbefehl“ das Amt eines „Reichskom-
missars für die Festigung des deutschen Volkstums“ übertragen wurde. Himmler nutzte diesen Befehl, um im Osten einen Machtbe-
reich der SS zu etablieren, der jeder Kontrolle durch Verwaltung und Recht entzogen war und der in den eroberten und besetzten Gebieten in neuer Konkurrenz zur Wehrmacht stehen sollte. Auch mit den Leitern der neu ernannten Zivilverwaltungen hatte der jeweilige Militär-
befehlshaber Gegenspieler, die als Gauleiter bzw. Vertraute von Hitler über die größeren Einflussmöglichkeiten verfügten. Hitler speiste die Wehrmachtsführung mit der Bemerkung ab, dass sie nun eine Verantwortung weniger habe. Halder erläuterte weiter: „Harter Volkstumskampf gestattet keine gesetzlichen Bindungen“.

Deportationen, Umsiedlungen und Massenerschießungen

In seiner neuen Eigenschaft als „Reichskom-
missar“ begann Himmler schon Ende Oktober 1939 mit seiner „Rassen- und Volkstums-
politik“. Bis zum Februar 1940 sollten größere Teile der nichtjüdischen polnischen Bevölkerung und „alle Juden“ aus den eingegliederten Ostgebieten ausgesiedelt werden. Nach den anfänglich wilden Deportationen durch die Einsatzgruppen und die lokalen NS-Funktionsträger übernahm das Reichssicherheitshauptamt die zentrale Organisation der Massendeportationen. Innerhalb weniger Tage wurden Anfang Dezember 1939 87000 Personen aus dem „Reichsgau Posen“ ins Generalgouvernement deportiert und im Februar 1940 40000 Polen aus dem Warthegau. Im Laufe des Jahres wurden weitere 120000 Polen zwangsaus-
gesiedelt, deren Wohn- und Lebensräume dann von „volksdeutschen“ Umsiedlern aus den baltischen Staaten und aus Wolhynien

eingenommen werden sollten. Bis Ende 1940 wurden etwa 325000 polnische Staatsan-
gehörige zwangsumgesiedelt und damit ihrer Heimat und ihres Besitzes beraubt. Zu den Aussiedlungsaktionen und den gegenläufigen Ansiedlungsmaßnahmen, die den Kern der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik bildeten, kamen sogenannte „Eindeutschungs“-Maßnahmen. Zu denen hatten sich die nationalsozialistischen Siedlungsideologen entschlossen, da die „Volksdeutschen“ in den besetzten Gebieten ansonsten in der Minder-
heit geblieben wären. In Anlehnung an das „Reichsbürgergesetz“ vom 15. September 1935 wurde eine sogenannte „deutsche Volksliste“ erstellt, die die polnische Bevölkerung in vier Kategorien aufteilte. SS und Parteidienststellen machten sich mit fanatischem Eifer daran, nach ihren abstrusen rassebiologischen Kriterien eine neue Hierarchie der Bevölkerung mit unterschied-
lichen Rechten, unterschiedlichen Lebens- und Versorgungsmöglichkeiten aufzubauen. An der Spitze standen die Reichsbürger, bestehend aus „volksdeutschen“ Umsiedlern und Polen, die als „eindeutschungsfähig“ galten. Ihnen folgte eine Gruppe der „Staatsangehörigen“, die sich gleichsam als Deutsche auf Probe um die Aufnahme bemühen sollten. Sie waren in bezug auf ihre Versorgung und Arbeitsrechte der ersten Gruppe gleichgestellt, konnten aber nicht Beamte werden und mussten bei einer Eheschließung erst die Genehmigung deutscher Behörden einholen. Darunter gab es eine Gruppe von „Staatsangehörigen“ auf Probe, deren Rechte noch geringer waren als die der zweiten Gruppe. Diese beiden Gruppen zählten etwa 3,4 Millionen Menschen. Ihnen standen etwa sechs Millionen Polen gegenüber, die zu dem niedrigeren Status der „Schutzangehörigen“ gehörten und ein Leben als Arbeitssklaven führen sollten. Polen wurde nach der Besetzung zugleich zum Objekt einer gewaltigen Ausbeutungspolitik. Arbeitskräfte, Nahrungsmittel, Rohstoffe und Maschinen wurden ins Deutsche Reich gebracht, um die deutsche Kriegswirtschaft zu unterstützen. Ende 1939 erfolgten zunächst auf freiwilliger Basis Arbeitskräftewerbungen im General-
gouvernement, die jedoch bereits nach einem Monat zunehmend Zwangscharakter erhielten.
Bis zum Sommer 1940 waren auf diese Art und Weise 311000 Arbeitskräfte ins Reich verbracht worden, 1942 kamen noch einmal 400000 dazu. Parallel zu den Deportationen und Arbeitskräftezwangsrekrutierungen unter der polnischen Bevölkerung erfolgten mit noch größerer Radikalität die Deportationen der jüdischen Bevölkerung. Sie wurden von den Einsatzgruppen aus den eingegliederten Gebieten vertrieben und in Ghettos des Generalgouvernements verbracht. Die Vertreibungen der polnischen Juden gingen ungeachtet aller militärischen Zwänge weiter. Schon Anfang 1940 wurde aus den annektierten Gebieten gemeldet, sie seien „judenfrei“. In großen Ghettos, vor allem in Warschau, Krakau, Lemberg, Lublin und Radom wurde die jüdische Bevölkerung zusammengepfercht; dies war, wie sich bald herausstellen sollte, nur eine Etappe auf dem Wege zu ihrer Vernichtung.

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