Deutsche Geschichten
Machtergreifung
Machtergreifung
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Tag von Potsdam

Zur gleichen Zeit zeigte das Regime unter der Regie des neuen Propagandaministers Goebbels sein anderes Gesicht, das allemal angenehmer wahrzunehmen war. Gelegenheit dazu bot die feierliche Eröffnung des neuen Reichstages.

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Goebbels Kundgebung
Goebbels proklamiert das "Wiederwachen der deutschen Nation" und spricht vom "einig Volk von Brüdern", was in "keiner Not und keiner Gefahr mehr zu trennen" sei.

Mit dem "Tag von Potsdam" zum Frühlings-
anfang am 21. März inszenierte Hitler und der neuernannte Propagandaminister Joseph Goebbels am Traditionsort preußischer Geschichte die "Versöhnung des alten mit dem jungen Deutschland". Alle waren zum Fest der nationalen Versöhnung aus Anlass der feierlichen Eröffnung des Reichstages geladen: Parteigenossen und Bündnispartner, SA-Führer und Reichswehroffiziere, Männer der Wirtschaft und der Verwaltung, ehemals gekrönte Häupter und Generäle des kaiserlichen Deutschland. Nur Sozialdemokraten und Kommunisten waren nicht geladen. Sie waren, wie Innenminister Frick höhnisch bemerkte, "durch dringende und nützliche Arbeiten [...] in den Konzentrationslagern" am Erscheinen gehindert worden.

Der Tag in Potsdam begann mit Festgottes-
diensten, denn auch Vertreter der Kirchen wollten bei der propagierten nationalen Versöhnung nicht abseits stehen. Danach kam es auf den Stufen der Garnisonskirche zu der millionenfach reproduzierten Begegnung zwischen Hindenburg und Hitler. Der "unbekannte Gefreite des Weltkrieges", im schwarzen Cut, verbeugte sich tief vor dem Reichspräsidenten, der die Uniform eines kaiserlichen Generalfeldmarschalls trug. Im Altarraum der Kirche verharrte Hindenburg vor dem leeren Stuhl des Kaisers und hob grüßend den Marschallstab.

Paul von Hindenburg

Hinter dem Stuhl saß der Kronprinz, auch er in preußischer Generals-
uniform. Hitler folgte respektvoll und befangen. Auch das folgende minutiös einstudierte Programm mit Orgelmusik und Choral, einer kurzen Ansprache Hindenburgs und einer betont feierlichen und in den Aussagen allgemein gehaltenen Rede Hitlers war ganz darauf ausgerichtet, den schönen Schein einer "nationalen Vermählung vollzogen zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft" so Hitler, zu erzeugen. Nach dieser feierlichen Eröffnung begann dann die Arbeit des Reichstages, die in der Konzeption Hitlers nur dessen Selbstabdankung bringen sollte. In der Tat, die "Potsdamer Rührkomö-
die" (Friedrich Meinecke) verfehlte ihre Wirkung im In- und Ausland nicht. Das "Dritte Reich" hatte sich als legitimer Erbe des "Zweiten Reichs" Bismarcks präsentieren und den Eindruck erwecken können, als sei die Zähmung der dynamischen nationalsozial-
istischen Bewegung durch den preußisch-deutschen Konservativismus gelungen.

Ermächtigung

Drei Tage später, bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz in der Kroll-Oper, wo der Reichstag nun in Zukunft tagen sollte, hatte sich die Kulisse völlig verändert. Statt des schönen Scheins der Tradition nun die Drohgebärde der vor und in dem Gebäude aufmarschierten SA-Verbände. Auch Hitler kam nun in Parteiuniform. Reichstagspräsident Göring hatte zuvor schon alle Vorkehrungen getroffen, damit die Zweidrittelmehrheit der Anwesenden und der Stimmen erreicht würde. Denn nach Artikel 76 der Weimarer Reichsver-
fassung benötigten "Beschlüsse des Reichs-
tages auf Abänderung der Verfassung" eine Zweidrittelmehrheit, sofern mindestens auch "zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind." Die 81 KPD-Abgeordneten waren rechtswidrig erst gar nicht eingeladen worden und 26 SPD-Abgeordnete waren bereits verhaftet oder geflohen. Durch einen Geschäftsordnungstrick wurden nun die unentschuldigt fehlenden oder ausgeschlossen-
en Abgeordneten als anwesend gerechnet. Damit war eine Verhinderung oder Verzögerung des Abstimmungsverfahrens durch die parlamentarischen Möglichkeiten der Geschäftsordnung von vorneherein unmöglich. Nun hing alles vom Verhalten des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei (BVP) ab. In mehrtägigen Gesprächen mit den Vertretern des politischen Katholizismus waren Zusagen gemacht worden, auf die Hitler in seiner Rede werbend einging, indem er vor allem die Rechte der Kirchen einzuhalten versprach.

Auseinandersetzungen im Zentrum

Die Verhandlungen mit den Nationalsozialisten im Vorfeld der Reichstagssitzung hatten die Zentrumsfraktion vor eine schwere innere Zerreißprobe gestellt. Gegen den Willen einer Minderheit um Heinrich Brüning und Adam Stegerwald setzte sich der Parteivorsitzende Prälat Ludwig Kaas, ohnehin ein Verfechter einer autoritären nationalen Sammlungspolitik, schließlich durch. Seine Argumente waren durchaus einleuchtend, aber gleichwohl verhängnisvoll. Das Ermächtigungsgesetz ändere in der politischen Wirklichkeit nichts an der Herrschaft Hitlers. Weite Teile der Basis der Partei verlangten nach einem besseren Verhältnis zur NSDAP und seien kaum noch daran zu hindern, in das Lager Hitlers zu wechseln. Schließlich belastete das Zentrum das Trauma des Kulturkampfes unter Bismarck, der mit der Einführung der Alleingültigkeit der Zivilehen und der staatlichen Schulaufsicht zu wesentlichen Einbußen der kirchlichen Disziplinargewalt im öffentlichen Leben beigetragen hatte. Man wollte nicht noch einmal in die Rolle eines Reichsfeindes geraten. Die Zentrumsführung verließ sich auf die Zusagen Hitlers, dass man die bestehenden Länderkonkordate zwischen dem Vatikan und Baden, Bayern und Preußen anerkenne, den christlichen Einfluss auf die Schule respektiere und zusammen mit dem Zentrum ein Gremium zur fortlaufenden Information über die Maßnahmen der Reichs-
regierung bilden werde. Umstritten und nicht belegbar ist die Vermutung, bei der Entschei-
dung des Zentrums für das Ermächtigungsge-
setz hätten auch konkrete Absichtserklärungen über ein Reichskonkordat eine Rolle gespielt, das in der Tat einige Wochen später verhandelt und abgeschlossen wurde. Auch war die Vorstellung, den organisatorischen Kern des katholischen Lagers, nämlich das Verbandsleben, durch diese Entscheidung zu retten, durchaus plausibel. Dass sie bei ihrem Bemühen, "Schlimmeres" zu verhindern, die Wortbrüchigkeit der Nationalsozialisten unterschätzten, wurde erst später erkennbar.

All das aber belegte noch einmal, wie entscheidend für die Erfolge Hitlers neben
dem skrupellosen nationalsozialistischen

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