Deutsche Geschichten
Widerstand
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die Überwindung von Hass und Lüge, für den Neuaufbau des Abendlandes, für das friedliche Zusammenarbeiten der Völker." In drei größeren Treffen diskutierte der Kreisauer Kreis die Grundlagen einer humanen und sozialen Ordnung des Zusammenlebens im nationalen und europäischen Rahmen, die 1943 in den "Grundsätzen für die Neuordnung" endgültig formuliert wurden. Sieben unverzichtbare Forderungen sollten das Fundament der inneren Erneuerung und eines gerechten und dauerhaften Friedens bilden. Die Wiederherstellung des Rechtsstaats, die Garantie von Glaubens- und Gewissensfreiheit, das Recht auf Arbeit und Eigentum standen obenan. Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit sollten wieder an die Stelle des Prinzips von Befehl und Gehorsam treten. Statt Diktatur und Unterwerfung sollten politische Verantwortung und Mitwirkung jedes einzelnen, die Mitbestimmung im Betrieb und in der Wirtschaft einschloss, die Prinzipien staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung bilden. Wichtig war den Kreisauern aber auch die Überwindung des Nationalismus. Die Gründung einer Völkergemeinschaft im Geiste internationaler Toleranz lag ihnen mehr am Herzen als die Bewahrung einzelstaatlicher Souveränitätsrechte.

Die "Grundsätze für die Neuordnung" waren ein Programm für den Neuaufbau nach der NS-Diktatur, in dessen Mittelpunkt Arbeiterschaft und Kirchen stehen sollten. Die Grundsätze boten auch eine interessante Variante zum Wahlrecht: jedes Familienoberhaupt sollte für jedes nicht wahlberechtigte Kind eine zusätzliche Stimme erhalten. Politische Beamte und Waffenträger sollten für den Reichstag, dessen indirekte Wahl durch die Landtage vorgesehen war, nicht wählbar sein. Das Wirtschaftsprogramm war von den Leitmotiven staatlicher Wirtschaftsführung, Sozialisierung der Schlüsselindustrien und vom Gedanken der Mitbestimmung beherrscht. Gegen die nationalsozialistische, auf Zwang, Unterwerfung und Irrationalität beruhende Herrschaft setzten die Kreisauer eine Gesellschafts- und Staatsordnung, die sich auf Humanität, christliche Ethik, Gerechtigkeit und Überwindung von Klassenschranken gründen sollte. Ziel des Kreisauer Kreises war die Wiederherstellung eines humanen Rechtsstaats, der nach der Bestrafung der nationalsozialistischen Verbrecher mit einer demokratischen Verfassung neu aufgebaut werden sollte. Zur Vorbereitung eines gewaltsamen Umsturzes oder zum Attentat auf Hitler fühlten sich die Kreisauer nicht berufen. Sie hofften auf eine Art Arbeitsteilung, bei der sie die Reformpläne ausarbeiten wollten, damit sie zur Verfügung stünden, wenn die Zeit dafür gekommen war. Den Weg sollte die Militäropposition frei machen, zu der man Verbindungen unterhielt.
Graf von Moltke wurde vor allem durch die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden, den Kriegsgefangenen und der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zum Widerstand getrieben. Er wollte zwar die Nationalsozialisten ablösen, den Machtstaat und das Rassendenken überwinden, den Gedanken an eine gewaltsame Beseitigung Hitlers lehnte er jedoch lange Zeit ab. Er hatte jedoch nicht nur moralische Bedenken gegen

den Tyrannenmord. Wie viele andere Gegner des Nationalsozialismus fürchteten auch die Kreisauer, der gewaltsame Sturz des Regimes im Kriege könnte zu Legenden führen. Denn nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatten diejenigen, die sich mit der Niederlage Deutschlands nicht abfinden konnten, die "Dolchstoßlegende" in die Welt gesetzt: Verrat habe den Krieg entschieden, das tapfere und siegreiche deutsche Heer sei von hinten, also aus der Heimat, erdolcht worden. Mit einer ähnlichen Hypothek, zu der ein Attentat auf Hitler den Anlass geboten hätte, wollten die Kreisauer die Neuordnung von Staat und Gesellschaft nicht belasten.

Im Januar 1944 wurde Graf von Moltke durch die Gestapo verhaftet, weil er einen Kollegen vor der drohenden Festnahme gewarnt hatte. Der Kreisauer Kreis war ohne Moltke als geistigen Mittelpunkt am Ende. Die aktivsten Mitglieder schlossen sich der Widerstandsgruppe um Goerdeler an und beteiligten sich am Attentat des 20. Juli 1944.

Widerstandsgruppen
Typisch für die Formierung von Regimekritik unter gebildeten Bürgern, die zum Widerstand gegen das NS-Regime wurde, waren die Teegesellschaften...

Mitte August 1944 stieß die Gestapo beim Verhör der vielen Mitwisser des 20. Juli auch auf den Kreisauer Kreis. Nach Misshandlung und Folter standen die führenden Mitglieder vor dem Volksgerichtshof. Um möglichst viele Freunde aus dem Kreisauer Kreis zu schützen, verteidigte sich Moltke mit der Strategie, man habe keinen Umsturz geplant, keine organisatorischen Schritte getan, mit niemandem über Ämter und Funktionen in einer Regierung nach Hitler gesprochen. Man habe nur theoretische Erörterungen angestellt. Im Grunde seien auch nur der Jesuitenpater Delp, der Theologe Gerstenmaier und von Moltke beteiligt gewesen, allenfalls noch Peter Graf Yorck von Wartenburg und Adam von Trott zu Solz.
Eugen Gerstenmaier ordnete später den Kreisauer Kreis folgendermaßen in den Gesamtzusammenhang des Widerstandes ein: "Geschichtliche Wahrheit ist, dass auch die Kreisauer für den Sturz Hitlers gearbeitet haben, indem sie sich energisch darum mühten, dass Deutschland nach der Vernichtung Hitlers bestehen könne. Sie waren der Meinung, je genauer und weitblickender die Vorbereitung dafür sei, desto mehr Chancen habe der Tag X und desto eher werde der Sturz Hitlers und seines Systems herbeizuführen sein."
Am 11. Januar 1945 wurde Helmuth James von Moltke zum Tode verurteilt. Am 23. Januar 1945, drei Monate vor dem Zusammenbruch des Hitlerstaates, wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Nur wenige aus dem Zentrum des Kreisauer Kreises entgingen den Henkern des NS-Regimes. Einige spielten beim

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