Deutsche Geschichten
Widerstand
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Die Verfasser des "Prager Manifests" hatten über die Sofortmaßnahmen nach der Beseitigung des Nationalsozialismus hinaus die Vision eines erneuerten demokratischen Staates und einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. Dazu sollten der bisherige politische Apparat aufgelöst und die Eliten in Bürokratie, Justiz, Polizei und Militär ausgetauscht sowie die Trennung von Kirche und Staat vollzogen werden.

Die Kirchen
Die Kirchen standen zunächst dem Nationalsozialismus nicht in grundsätzlicher Ablehnung gegenüber...

Als Ideal war die Überwindung des Gegensatzes zwischen Staat und Gesellschaft propagiert: "An die Stelle des Machtstaates, der durch Militär, Bürokratie und Justiz seine Untertanen beherrscht, tritt die Selbstverwaltung der Gesellschaft, in der jeder zur Mitwirkung an den allgemeinen Aufgaben berufen ist." Das war ein Bekenntnis zu Formen direkter Demokratie. Die entschädigungslose Enteignung von Grossgrundbesitz und Schwerindustrie sowie die Vergesellschaftung der Großbanken gehörten ebenfalls zu den Forderungen des "Prager Manifests", mit denen auch die Menschenwürde und die Entfaltung freier Persönlichkeit propagiert wurde. Das "Prager Manifest" schloss mit dem Aufruf an die deutsche Arbeiterschaft, die "Ketten der Knechtschaft" abzuschütteln.
Vor dem Einmarsch deutscher Truppen, mit dem im Frühjahr 1939 die Zerschlagung der Tschechoslowakei besiegelt wurde, floh der sozialdemokratische Parteivorstand nach Paris. Ein Jahr später, kurz vor der Besetzung der französischen Hauptstadt durch deutsche Truppen am 14. Juni 1940, konnten sich die SPD-Führer des Exils zum Teil nach London retten. Einige fielen den Nationalsozialisten in die Hände wie Rudolf Breitscheid, der im KZ Buchenwald im August 1944 oder Rudolf Hilferding, der schon Anfang 1941 in einem Pariser Gefängnis ums Leben kam. Breitscheid und Hilferding, die als prominente Sozialdemokraten in Paris im Exil lebten, waren von der französischen Polizei Ende 1940/Anfang 1941 der Gestapo ausgeliefert worden. Der SPD-Vorstand blieb im Londoner Exil, viel bewirken konnte er von dort aus nicht mehr.
Als Kurt Schumacher, der bei den Nationalsozialisten besonders verhasste sozialdemokratische Politiker, der die meiste Zeit des Dritten Reiches im KZ verbringen musste, 1945 die SPD neu aufbaute, vereinigten sich die Sozialdemokraten des Exils, an ihrer Spitze Erich Ollenhauer, mit den in der inneren Emigration verbliebenen und den aus der Haft entlassenen Überlebenden des Widerstandes.

Stille Verweigerung

Ein großer Teil der Mitglieder der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung hatte sich, scheinbar resigniert, nach dem Verbot der Partei ins Private zurückgezogen, pflegte aber im Umfeld von Arbeitersiedlungen und Vorstädten das sozialdemokratische Milieu, das in Formen von Nachbarschaft, Geselligkeit, Kameradschaft und gegenseitiger Hilfe eine Zone bildete, in der nationalsozialistische Ideologie ohne Einfluss und NS-Propaganda ohne Wirkung blieben. Ihre Grundhaltung war stille Verweigerung und Resistenz. Das äußerte sich im Abhören verbotener Auslandssender, im Austausch von regimekritischen Ansichten im kleinen Kreis, in Läden und Gaststätten, die von Sozialdemokraten betrieben wurden und als Nachrichtenbörsen und Orte des Trostes unter Gleichgesinnten dienten.
Das war kein Widerstand und wurde von der NS-Herrschaft als nie bedrohlich angesehen. Die oppositionelle Haltung schwächte sich auch vorübergehend ab, als die Arbeitslosigkeit überwunden war und die außenpolitischen und militärischen Erfolge des Regimes einsetzten. Der Verlauf des Krieges und schließlich die sich abzeichnende Niederlage stärkten die oppositionelle Einstellung wieder. Das auf inneren Vorbehalt und Tradition gegründete Zusammengehörigkeitsgefühl blieb jedenfalls so stark, dass die Sozialdemokratie als Partei nach dem Zusammenbruch des NS-Staates die überlieferten Strukturen wiederbeleben und darauf aufbauen konnte.
Einige der aktivsten sozialdemokratischen Widerstandskämpfer erlebten die Wiedergeburt der Partei jedoch nicht mehr. Sie hatten, wie Julius Leber, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner, Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein, vor 1933 keine Spitzenpositionen im Apparat der SPD eingenommen.

Widerstand vor 1933
"Dass der Nazi dir einen Totenkranz flicht: Deutschland, siehst du das nicht?" fragte Kurt Tucholsky 1930 in seinem Gedicht "Deutschland, erwache".

Meist waren sie Redakteure bei Parteizeitungen oder Parlamentarier; Leuschner war Innenminister in Hessen gewesen, der Pädagoge Reichwein, bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten Professor an der Pädagogischen Hochschule Halle, war erst 1932 zur SPD gekommen. Die Genannten überwanden im Widerstand die eigenen Parteigrenzen und suchten Kontakt zu Andersdenkenden. Sie spielten wichtige Rollen in allen überparteilichen Widerstandskreisen, in denen sich vor allem seit Kriegsausbruch Menschen konservativer, liberaler, parteiungebundener, christlicher und sozialdemokratischer Gesinnung

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